Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/159

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es einstweilen in einen meiner Koffer ein, um es später in die Bank zu hinterlegen.

Leider nöthigte mich mein Beruf, unaufhörlich auf den Straßen mich zu befinden, und bei meiner auffallenden Persönlichkeit konnte es kaum fehlen, daß viele Männer, die ich theils auf meinen unvermeidlichen Gängen, theils in den Familien antraf, mir Nachstellungen bereiteten; denn der Engländer glaubt nicht an eine Tugend ohne Zwang, und durch sein Gold glaubt er alle Hindernisse beseitigen zu können. – Ich sah mich also von einer Menge Wüstlinge umgeben, die mich mit Liebesanträgen schriftlich und mündlich auf’s äußerste verfolgten, und die mein Abscheu, den ich auf alle Weise zu erkennen gab, nicht nur nicht zurückstieß, sondern noch anzog.

Meine Stimmung wurde dadurch nach und nach in völlige Unzufriedenheit mit meiner gegenwärtigen Lage verwandelt, aber hätte ich in die Zukunft blicken und alle auf mich lauernden Larven und Ungeheuer erschauen können, so würde ich mein Loos von meinem Eintritt in Mistreß E.’s liebes Haus bis zu meinem Austritt aus dem des Marquis von S. für ein überwiegend glückliches erkannt haben.

Ungeachtet ich wöchentlich Briefe von meinem Bräutigam empfing, nebst zahllosen Beweisen seiner Liebe, so blieben doch seine Berichte über Familien-Angelegenheiten höchst unbefriedigend, und ich las zwischen den Zeilen, daß seine Gemüthsstimmung eine sehr kummervolle war. Dieser Umstand, so wie ahnungsvolle Briefe meines Vaters und einiger Freunde steigerten meine Schwermuth über die sich immer mehr ausdehnende Trennung bis zum Unerträglichen.

Lord P., in dessen Hause ich unterrichtete, gehörte unter meine lüsternen Verfolger, lauerte mir oft auf und drang einstmals heftiger als je in mich, ihm die Erlaubniß eines Besuches zu ertheilen.

„Mylord, erwiederte ich ernst, ich bin in meiner ärmlichen Häuslichkeit nicht auf so vornehme Besuche eingerichtet, empfange überhaupt grundsätzlich niemals Herren.“

„Sind Sie gegen alle Männer so unverbindlich wie gegen mich?“ fragte Lord P. mit satyrischem Lächeln.

„Mylord, entgegnete ich stolz, ich kann mit Recht sagen, daß ich das rechtlichste Mädchen in London bin, denn ich verschmachte des Tages in der Sonnengluth, während ich zu anderen Zeiten im Unwetter oft fast umkomme, einzig um den Grundsätzen der Tugend gerecht zu werden.“