Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/17

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Beaufsichtigung ihrer sechsjährigen Tochter anboten. Dies war ein junges schönes Ehepaar, welches im Begriffe stand, nach England zurückzureisen und durch jede Art von Liebenswürdigkeit meinen Vater und meine Tante so sehr einnahm, daß das Engagement sofort abgeschlossen und nicht einmal ein schriftlicher Vertrag abgefaßt wurde, weil der Hauptmann G. versicherte, er werde mich als Tochter behandeln. Wie bald mußte ich dieses übergroße Vertrauen bitter bereuen! Die Meinigen begleiteten mich bis an den Reisewagen, und mein guter Vater gab mir noch die Nachfolge Christi von Thomas a Kempis mit dem Rathe in die Hand, täglich darin zu lesen. Ich sagte es zu und habe Wort gehalten. Der Abschied von meiner Familie war die bitterste Stunde, die ich bis dahin erlebt hatte; als ich meinen Vater aus den Augen verlor, war es mir, als ob mein Schutzgeist von mir gewichen wäre.

Es war am Anfang des April, das Wetter kalt und stürmisch, kein Sonnenstrahl brachte Hoffnung in mein verwaistes Herz. Ich blickte von Zeit zu Zeit meine Reisegefährten an, aber ihre kalten Gesichter sprachen nichts von Theilmahme oder Mitleid; sie waren schön, sehr schön an Körper, aber die Schönheit der Seele besaßen sie nicht. Wir reisten über Anspach, Nürnberg und Heidelberg dem Rheine zu, und in demselben Maße, wie wir uns von meiner Heimath entfernten, veränderte sich ihr Betragen. Die Dienstleistungen, welche sie erst als Gefälligkeiten von mir erbeten hatten, befahlen sie mir jetzt in gebieterischem Tone; so sehr sie erst meine Geschicklichkeit, Treue und Liebe zu ihrem Kinde gelobt hatten, so tadelsüchtig und ungerecht bewiesen sie sich jetzt und Frau G. war so hochmüthig, daß sie meine Fragen und bescheidenen Bemerkungen nur mit verächtlichen Blicken beantwortete. Dabei war der Geiz dieser Menschen unmäßig: überall stiegen wir in den schlechtesten Gasthöfen ab und verließen keinen, ohne daß Hauptmann G. sich mit dem Wirthe wegen der Rechnung zankte, so gering dieselbe auch sein mochte. Und doch rühmte er sich vornehmer Abkunft. Keinen Hausknecht, Kofferträger oder Postillon entließ er befriedigt. Die meisten baten demüthig um ein Trinkgeld, während der edle Britte pfiff und seine Gemahlin spöttisch lachte; manche entfernten sich dann klagend, andere aber sendeten ihm einen Strom von Flüchen und Schimpfreden nach. Wo waren die Liebenswürdigkeit, die vornehmen Formen hin, die ich so sehr bewundert hatte? Ist die Heuchelei allmächtig? Hätte ich in D** nicht noch am Tage des Engagements den englischen