Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/177

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Priester mit einigen Ministranten, welcher einem Sterbenden das Abendmahl brachte und bei dessen Anblick sich alle Menschen auf der Straße und im Omnibus auf die Kniee warfen. Diese guten Leute erhoben sich von ihrer momentanen Selbstdemüthigung mit offenbarer Selbstgefälligkeit, denn sie betrachteten mich ungefähr mit denselben Blicken, wie der Pharisäer den Zöllner, und doch konnte ich meinerseits nicht umhin, zu denken, daß die Anbetung der Hostie eine ebenso rein menschliche Erfindung ist, wie die willkürlichen Opfer der Anbeter des Jaggernants.

Das Haus, in welchem Madame D. wohnte, glich einem Palast und war von einem üppigen Garten umgeben, sie selbst empfing mich in einem prachtvollen Saale, der von Spiegeln und Kronleuchtern strahlte und mit kostbaren Gemälden geziert war. Auch Madame D. schien dem Wahne zu huldigen, wie so viele, daß das Verschließen der Fenster die Zimmerluft frisch erhalte, die doch dadurch schwül und drückend wird, weil der Sauerstoffgas, die eigentliche Lebensluft, ohne Zuströmen der atmosphärischen Luft sich in der Hitze schnell verzehrt. Dieser Uebelstand ward aber durch einen köstlichen Springbrunnen gemildert, der aus einem Marmorbecken mit einem dicken Silberstrahle hoch emporstieg und beim Niederfallen ein melodisches Klingen und Plätschern erzeugte. Wäre durch offene Fenster ein sanftes Fächeln der Luft durch den dichten Blumenwald gestrichen, der rings um das von Gold- und Silberfischen wimmelnde Bassin duftete, so wäre der Reiz vollkommen gewesen. Madame D. empfing mich mit Herzlichkeit und führte mich nach der Begrüßung auf den Balcon, wo sie die Marquise aufzog, um mir alle Schönheiten ihres Wohnsitzes von innen und außen zu zeigen. Brunnen, dichte Baumgruppen, leuchtende Blumenbeete, schattige Ruheplätze, Statuen, reizende Spaziergänge und Pavillons zeigten sich von allen Seiten und schufen den herrlichsten Anblick für das unersättliche Auge, den die Phantasie nur ersinnen kann. Ich vermochte nichts zu sagen als: Armidens Zaubergarten! – Madame D. stimmte ein in meine Extase mit der stolzen Frage: „Wohne ich nicht der Blumengöttin Flora gleich?“

„Diese Umgebungen könnten mich die Welt vergessen machen,“ sprach ich gedankenvoll.

Voilà le mot! versetzte Madame D.; auch ich vergesse die Welt hier, und es hängt nur von Ihnen ab, mein Haus zu Ihrer Heimath zu machen.“