Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/187

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

eine der größten Merkwürdigkeiten der Stadt, zu sehen bekam. Dieses ist ein kolossales Steingebäude, welches ein großes Volumen Wasser enthält, das ihm durch einen herrlichen Aquaduct zugeführt wird. Aus diesem Behälter führen unterirdische Röhren das Wasser nach verschiedenen Theilen der Stadt; da es aber nur wenig Brunnen giebt, so wird demungeachtet von den Wasserträgern – galegos – vieles herumgetragen und verkauft. Um das Innere dieses Wasserbehälters führt eine Galerie, von welcher herab man dieses Wunder der Kunst sehr vortheilhaft sehen kann. Es ist in der Hitze der angenehmste Spaziergang, den man sich denken kann.

Wir sahen viele Ruinen, die von dem großen Erdbeben des Jahres 1755 herrühren, welches während eines jener scheußlichen Autodafé’s[WS 1] ausbrach und wenigstens das Gute bewirkte, daß jene grausamen Ketzergerichte nicht mehr wiederholt wurden.

Das Arsenal, die Börse und das Zollamt sind schöne und großartige Gebäude; übrigens ist Lissabon sehr leicht, unregelmäßig und geschmacklos gebaut, weil der Staatsminister Johanns VI., Marquis von Pombal, nach jener schrecklichen Katastrophe ein Mandat ergehen ließ, welches den Zeitraum des Wiederaufbaues der Stadt und das aufzuwendende Kapital für jedes Haus festsetzte, so daß Lissabon nach einem Jahre schon wieder aufgebaut war. Leider entbehren aus diesem Grunde die meisten Häuser der Schleußen und Gossen, weshalb aller Unrath Abends um neun Uhr auf die Straße geworfen wird, bei welchem sauberen Geschäft die verrichtenden Personen jedoch verpflichtet sind, den Ruf der Warnung agua vem erschallen zu lassen, so daß man es wenigstens vorher weiß, wenn eine Ladung Parfümerie im Anzuge ist. Aus dieser kolossalen Unsauberkeit entsteht dann der widerlichste Anblick und für Fußgänger ein fast unnahbarer Phlegeton, weshalb Standespersonen sehr selten das Pflaster betreten. Bei Epidemieen ist diese Unreinlichkeit die Quelle grauenhafter Sterblichkeit, oft entstehen sie selbst daraus, wenigstens sollen bösartige Fieber aus diesen offenen Kloaken bereits mehrmals entsprungen sein. In der Hitze ist der Gestank auf den Straßen nicht blos unerträglich, sondern er verpestet auch das Innere der Häuser, so daß es vollkommen unbegreiflich bleibt, wie eine europäische Regierung einem solchen Scandal ruhig zusehen kann. Ganz anders verhält es sich mit dem sogenannten englischen Viertel, Buones Ayres geheißen, welches breite, reinliche Straßen und massive

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Autodafé, Verkündung der Urteile der portugiesischen Inquisition