Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/19

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plötzlich jener Zudringliche vor mir stand. Ich erhob mich rasch von meinem Sitze, um mit der Kleinen weiter zu gehen, als Jener mich gewaltsam anfaßte und mir zu schweigen gebot. Dies war aber für uns Beide gerade das Lärmsignal, denn wir schrieen nun aus Leibeskräften, und als der Fremde mir ein Tuch in den Mund zu stecken suchte, lief Karoline mit einem Zetergeschrei fort. Plötzlich stand jener junge Mann neben uns, ergriff den Räuber und warf ihn so gewaltig zu Boden, daß er einige Augenblicke betäubt schien, dann raffte er sich auf und lief rasch fort. Mein Befreier erkannte ihn als einen durch Bankerott reichgewordenen Kaufmann; er selbst gestand mir, daß er mich seit längerer Zeit beobachtet habe, auch meinen Aufenthalt und meine Lage kenne, da man überall von den Engländern am Boulevard de Louvain, besonders von dem Major B. und Hauptmann G. spräche. Der junge Mann war ein Maler aus der Schweiz, ein Naturmensch; er hieß Charles T…, war der einzige Sohn einer ziemlich vermögenden Mutter und stand im Begriffe, auf Rath der Aerzte nach Italien zu reisen, um ein erbliches Brustübel womöglich in der ersten Entwickelung zu heilen. Wir besuchten diesen einsamen Ort natürlich nicht wieder, trafen uns aber täglich im Park, wo mir der Künstler durch seine umfassende Kenntniß der Literatur sehr nützlich wurde, indem er mir die schönsten Stellen aus Montaigne, Pascal, de la Rochefoucauld, Bossuet, Montesquieu und Rousseau vorlas und erklärte. Es waren hier zwei Schwärmer zusammengekommen, ein philosophischer und ein religiöser; Jener war Enthusiast für Rousseau, mein Evangelium war die Nachfolge Christi, und so war denn für ewigen Streit hinlänglich gesorgt. Der Umgang mit diesem seltenen Jüngling wirkte höchst vortheilhaft auf mich, indem ich nicht nur eine große Fertigkeit in der französischen Sprache erlangte, sondern auch meinen fast noch kindischen Geist zu größerer Reife entwickelte und mir manche Kenntnisse aneignete. Aber bald sollte mir Karl auch in anderer Beziehung die wichtigsten Dienste leisten. Eines Tages zahlte mir nämlich mein Prinzipal ungefähr den dritten Theil meines verdienten Gehaltes aus und erklärte, mehr hätte ich nicht verdient. Das war Alles, was er auf meine Bitten und Vorstellungen antwortete; einen Brief meines Vaters, der ihm in dieser Beziehung die heftigsten Vorwürfe machte, würdigte er gar keiner Erwiederung. Da war Karl mein einziger Rathgeber; er befragte sofort einen Rechtsgelehrten, allein dieser erklärte, daß die Gesetze mich