Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/199

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wir unsere Reise durch eine ebenso anmuthige wie abwechselnde Gegend nach Sevilla fort. Ueberall sah man Weinberge oder Orangenhaine, hier und da auch Palmen und ganze Wälder von Kastanienbäumen, der Himmel war dunkelblau und die Luft so rein und leicht, daß das Herz voll Lebenskraft rascher pulsirte. Der spanische Landmann ist vielleicht weniger unterrichtet als der unsere, aber intuitiver Verstand und Scharfsinn geben ihm einen Gehalt und eine Würde, welche einer scholastischen Bildung weit vorzuziehen sind, weil sie ihn primitiv, einfach und unverdorben erhalten. Der spanische Bauer baut sein Land noch nicht wissenschaftlich, die natürliche Fruchtbarkeit ersetzt die Kunst; und wenn auch nicht gesagt werden kann, daß der dortige Boden nicht noch ertragreicher gemacht werden solle, so ist doch auch nicht zu verkennen, daß die große Cultur des Bodens durch den von ihr erzeugten Reichthum Luxus und Weichlichkeit hervorbringt. Dem spanischen Landmanne genügt sein schlichtes Stuccohaus wie die Tracht seines Urgroßvaters, und für Neuerungen hat er wenig Geschmack. Sein Charakter ist antik, Gesicht und Körper von klassischen Formen, sein Geist elastisch und stark, obgleich er leidenschaftlicher ist als der unsrige. Die Ausdauer, Zähigkeit, Kaltblütigkeit und Entsagung spanischer Soldaten scheint in der Ursprünglichkeit der Nationalzustände wenigstens theilweise zu wurzeln und dürfte mit einer größeren Cultur leicht verloren gehen, wie überhaupt alle jene Eigenschaften des spanischen Volkes, die so sehr bewundert werden.

Aber mich dünkt, ich sehe noch jetzt die Fluthen des Guadalquivir stolz und langsam wie das Volk an seinen Ufern daher kommen. Sei mir gegrüßt, Du klassischer Strom, dessen Wellen drei edeln Herrschern Roms das Wiegenlied[WS 1] murmelten.[1] Und Du, Sevilla, mit Deinen ehrwürdigen Thürmen, Deinen glänzenden Palästen und stillen Klöstern, sei mir gegrüßt! Wie viele geschichtliche Erinnerungen knüpfen sich an diese altehrwürdige Stadt! Nach dem Falle des Kalifates zu Cordova war sie während eines Jahrhunderts der Sitz der andalusischen Könige, worauf es wieder den Mauren anheim fiel und sich unter Joseph Ben Abdelomen zu einer größeren Bedeutung erhob, als sie bisher gehabt. König Ferdinand der Heilige eroberte sie ungefähr 200 Jahre später (im Jahre 1248) nach siebenzehnmonatlicher Belagerung, und beinahe


  1. Trajan, Hadrian und Theodosius

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wiegenlid