Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/237

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der Rumpf des Kutters von ihnen augenblicklich verschlungen ward. – Die erste Empfindung der Retter wie der Geretteten, der Passagiere wie der Mannschaft beider Fahrzeuge, war Freude, denn alles, was der Mensch hat, giebt er für sein Leben hin; aber nie werde ich den traurigen Anblick der braven Seeleute vergessen, die jetzt als nackte Bettler vor uns standen und händeringend ihre Habe in die Tiefe sinken sahen. Der Sturm ward inmittelst immer heftiger und ich dermaßen seekrank, daß ich endlich ganz gleichgiltig gegen alles war, was um mich her vorging. Plötzlich legte sich das Schiff so auf die Seite, daß ich mit mehreren Reisenden aus der Coje kollerte, worauf ich mich mühsam die Treppe hinauf schleppte. Oben angekommen, sah ich, daß das eine Rad des Dampfers ganz in freier Luft wirbelte, und eine gegen uns heranrollende haushohe Welle sich über uns zu stürzen drohete. Wäre dies geschehen, so hätte sie uns jedenfalls in den Abgrund versenkt; aber indem ich die Katastrophe erwartend einen gellenden Schrei ausstieß, brach der Wasserberg auf einmal donnernd zusammen und spritzte ungeheuere Massen zischenden Schaumes über uns hin. Das Meer war in unbeschreiblicher Aufregung, es schien von tanzenden und jauchzenden Dämonen zu wimmeln, es war ein Donnern, Zischen, Brausen, Pfeifen und Heulen in Luft und Wasser, das nur von Millionen höllischer Stimmen herrühren zu können schien. Die ganze Nacht tobte und raste es so fort, bis endlich gegen Morgen die Wuth der Elemente gestillt schien, gleich als hätten sie sich nun überzeugt, daß es ihnen nicht gelingen werde, uns auf die Küste zu schleudern; denn dieses Unglück hatte der Capitain befürchtet. Aber die Gefahr war noch nicht überstanden, denn wir näherten uns jetzt den Felsenriffen der Punta de Europa, an der schon so manches Fahrzeug zertrümmert ist. Die Brandung ging so hoch, daß der Leuchtthurm bisweilen von Wogen fast bedeckt war, indem diese bis an die Laternen hinauf peitschten; erst nach längerem Kampfe gelang es der Peninsula, den gefährlichen Punkt zu umsteuern, worauf die von hohen Thürmen und Wällen gekrönte Festung Gibraltar vor uns empor leuchtete, indem die Morgensonne auf einmal mit Macht und Pracht alle Geister der Finsterniß und des Abgrundes nach allen Weltgegenden hin verjagte. Dieser Wandel ist unbeschreiblich großartig, sogar nirgends und niemals auf dem Festlande zu erleben, denn plötzlich leuchtete der strahlende Dom des Himmels, wo kurz vorher noch Nacht und Grauen herrschten, über einer zwar noch hoch gehenden und rollenden