Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/238

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See, die aber mit dem schreckenvollen Meere von vorhin kaum eine Aehnlichkeit mehr hatte. Es war, als ob sich ein grimmiger Löwe plötzlich aus einem blutschnaubenden Ungeheuer in ein weidendes Lämmchen verwandelt hätte.

Im Hafen von Gibraltar angelangt, setzten wir die Mannschaft des verunglückten Kutters, lauter Engländer, an’s Land, und da die Peninsula sich einige Stunden hier aufhielt, so erstiegen wir die steilen Gassen, den Fuß des schwarzen Felsens und endlich die Wälle der Festung, von welchen aus wir die Küste des andern Welttheils erblickten. Die herrlichen Anlagen der öffentlichen Gärten prangten von tropischer Vegetation, baumhohe Schäfte der Aloë wuchsen aus Felsenritzen, wie bei uns die Kiefern, und zeichneten sich äußerst prachtvoll vor den übrigen Gewächsen aus.

Obwohl unsere Augenblicke hier gezählt waren, konnte ich mir doch nicht versagen, die Tochter von Mistreß St. aufzusuchen, um ihr mein Beileid am Tode ihrer guten Mutter zu bezeigen, und ungeachtet sie noch in tiefer Trauer war, nahm sie mich dennoch sehr freundschaftlich auf. Nachmittag 3 Uhr bestiegen wir wieder das Dampfschiff und schwebten bald darauf zum Golf hinaus. Um 6 Uhr erreichten wir die Höhe der Stadt Tarifa (südlichster Punkt von Europa), deren hohe Waldberge sie zärtlich zu umarmen schienen, und der Leuchtthurm ragte kühn aus dem Eilande hervor, das hoch inmitten der See lag. Die Sonne stand bereits am westlichen Rande des Horizontes, als wir die blendenden Minarets und das hochgethürmte Castell von Tanger aus den dunkeln Bergen, welche die Stadt umschlingen, hervortreten sahen und hinter diesen die Schneekuppen des Atlas erblickten. Ich weidete mich lange an diesem reizenden Bilde, bis die letzten Schatten desselben am Horizonte verschwanden und die Nacht ihre Schleier über das Meer breitete. Da wir in der vorigen Nacht keinen Schlaf, sondern nur Angst und Schrecken genossen hatten, begaben wir uns heute zeitig zu Bette und erwachten erst, als die Sonne schon aufgegangen war und wir uns in der Bay von Cadix befanden. Wir benutzten die kurze Zeit, während welcher das Schiff hier lag, um unsere frühere Fonda hier aufzusuchen, und wurden sowohl von den Wirthsleuten wie von Antonia und ihrer Familie auf das herzlichste bewillkommnet. Nach dem Genusse eines schmackhaften Frühstücks besahen wir nochmals die herrliche Stadt mit ihren pompösen Ansichten nach allen Richtungen hin. Meine Erzählung