Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/251

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Zwar gelang es mir nach und nach, meinen drei weiblichen Zöglingen richtigere Begriffe und Kenntnisse beizubringen, sie auch in Musik und Gesang zu vervollkommnen, allein alle Versuche, ihren Gemüthern eine religiöse und ästhetische Richtung zu geben, scheiterten an der schlecht übertünchten Rohheit der Eltern. Herr und Madame R., diese zwei vollkommensten Nullitäten in der Geisterwelt, welche keine anderen Genüsse kannten als thierische, deren einzige Unterhaltung in Klatscherei bestand, sahen in allen meinen Bestrebungen unberufenen Tadel und Kriticismus, ja sie waren empört, an einer Untergebenen statt knechtischer Unterwürfigkeit und Schmeichelei ein selbstständiges Urtheil, und wo es galt, Widerspruch zu finden. Als niedrige Menschen ergriffen sie daher jede Gelegenheit, mein Ansehen in der Gesellschaft wie in der Familie zu beeinträchtigen. Zu ihrem großen Leidwesen gelang es ihnen jedoch nicht so leicht, wie sie wünschten, weil der unpartheiische und selbstständige Theil der Gesellschaft mir nur mit Hochachtung und Auszeichnung begegnete, sogar mit Bewunderung von meinen Talenten sprach. Inzwischen fuhren Cor und Julius fort, mir ihre unheilvollen Huldigungen darzubringen, ja, sie feindeten sich bald gegenseitig als Rivalen an, wodurch ich in die schmerzlichste Verlegenheit gerieth. Julius hatte Theologie studirt, den Grad eines Magister artium erlangt und war wohl im Stande, eine tiefere Neigung einzuflößen; allein einerseits war ich älter als er, von armer Herkunft, von Leiden und Studien, Leben und Contemplation überdies hoch gehoben über den beschränkten Gesichtskreis eines Jünglings, andererseits war dieser viel zu stürmisch in der Empfindung, um mir Vertrauen einflößen zu können, zu wenig gereifter Mann, dazu sehr reich, von einer Familie, der das verfluchte Geld das Herz ausgebrannt hatte – so daß eine Verbindung mit ihm mehr als Thorheit gewesen wäre. Meine Lage war also eine höchst beunruhigte, als ein neuer Umstand eintrat, welcher einen bedeutenden Einfluß darauf ausübte. Ich hatte seit meinem Eintritt in die Familie viel von einem Herrn G. und seinen zwei Schwestern in London, wie von ihrem großen Reichthum gehört. Diese kamen einst auf Besuch, bei welcher Gelegenheit ich ihnen vorgestellt wurde. Ich fand in den beiden Schwestern zwei höchst gutmüthige und liebenswürdige ältliche Damen, die mich durch ihr einfaches und wohlwollendes Entgegenkommen ungemein anzogen. Der Bruder, ein Herr von höchstens vierzig Jahren, besaß eine sehr gefällige Persönlichkeit, die Formen eines Gentlemans und den