Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/252

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Ruf eines trefflichen Charakters. Es bedurfte keines großen Scharfsinns, um zu bemerken, daß Mistreß R. diesen Mann mit der Hand ihrer ältesten Tochter zu beglücken wünschte. So klug diese letztere nun auch manövrirte, so entging mir hinter den Coulissen doch nicht, wie eifrig sie den Wunsch ihrer Mutter secundirte. Es läßt sich daher leicht denken, wie groß der Verdruß Beider war, als Herr G. sich beinahe ausschließlich mit mir unterhielt und mir in Gegenwart so vieler heirathsfähiger junger Damen eine vorwiegende Aufmerksamkeit schenkte. Diese Annäherung ausgezeichneter Männer hatte mir immer den Haß der hohlköpfigen Schönen zugezogen, und ihr Neid wuchs, je mehr sie sich überzeugen mußten, daß jene Huldigungen mir ohne alles mein Hinzuthun gespendet wurden, während sie alle ihre Kunststückchen vergebens losschossen, um das Interesse auf sich zu lenken. Mir entging auch jetzt nicht, wie gehässig nicht nur Mistreß R., sondern alle Damen mich beobachteten, seitdem die zwei Brüder mich umschwärmten, sonderlich aber heute. Endlich kam die Dame mit schlecht verhehlter Heftigkeit auf mich zu und sagte mit verbissenem Aerger: Ich glaube, Ihr Platz ist bei Ihren Zöglingen! und kehrte mir den Rücken. Ihre Töchter saßen in dem andern Salon und unterhielten sich mit mehreren Damen, und ich begab mich schweigend dahin. Kaum hatte ich mich ihnen angeschlossen, als Herr G., secundirt von mehreren Herren, mich zum Singen aufforderte, ihren vereinten Bitten nachgebend, sang ich ein deutsches Lied, die Fahnenwacht von Lindpaintner, was von nun an in ganz England Furore machte. Ich erhielt allgemeinen Beifall und mußte noch ein Duett mit Julius singen, der nun den ganzen Abend nicht wieder von meiner Seite wich. Ich weiß nicht, was ich noch hätte musiciren müssen, wenn nicht meine Zöglinge mich darin abgelöst hätten. Die Leidenschaft jenes jungen Mannes beunruhigte mich immer mehr, während die Zuneigung des Herrn G. mir wohl that, denn er war ein Mann, der vermöge seiner Jahre die Welt und sich kannte, dabei eine durchaus unabhängige Stellung einnahm, vor allem aber von Liebe gänzlich schwieg. Aber nicht lange sollte ich von dieser Seite Ruhe haben, sondern bald meine unglückliche Anziehungskraft verwünschen, die mich fast so unglücklich machte, wie den Herrn von Mißmuth in dem „Berggeist“ die seinige. Wahrlich, ich begriff sie selber nicht, wenigstens gab mir mein Spiegel keinen Aufschluß, vielmehr sagte er mir ganz offen, daß ich an körperlicher Schönheit hinter vielen Damen meiner Umgebung