Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/26

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auf und wir traten in eine große getäfelte Halle, welche von bunten Bogenfenstern erleuchtet und mit Nischen, Statuen der Jahreszeiten enthaltend, verziert war. Eine der vielen Thüren, welche hinausführten, öffnend, führte mich Madame M…n in ein Zimmer und bat mich, Platz zu nehmen, dann ging sie, mich anzumelden, worauf sie wiederkam und die Verzögerung mit einem anwesenden Besuch entschuldigte. Ich stand einige Augenblicke geblendet von dem Glanze, der sich im reichsten Rococco-Styl vor mir entfaltete, und die phantastisch geschnitzten Möbel mit den grotesken Verzierungen, den schweren Damast-Draperieen und Polstern, wie die üppigen Gemälde erinnerten mich lebhaft an halbvergessene Erzählungen. Eine große Angst überfiel mich trotz meiner Liebe zur Pracht. In diesem Augenblick fiel mein Auge auf einen der mächtigen Pfeilerspiegel und zeigte mir meine Gestalt, die durch Gram und Sorge und die kürzliche Krankheit aller Fülle und Frische beraubt war, so daß ein Lächeln an die Stelle der Angst trat und meine Fassung wiederkehrte. Ich fühlte mich überzeugt, daß ich nicht die Bewunderung eines Mannes erwecken könne, und sah ich der Erscheinung des Herrn mit mehr Ruhe entgegen. Endlich hörte ich Thüren öffnen und Männertritte durch die Hausflur gehen, der Besuch entfernte sich und nach wenigen Augenblicken stand der General Baron v. H. vor uns. Es war ein hoher ernster Mann mit tiefschwarzem Haar und Auge, militairischer Haltung und imposanten Formen. Madame M…n nannte ihm meinen Namen und fügte viel Empfehlendes über Aufführung und Fähigkeiten hinzu. Der Herr heftete einen langen Blick auf mich und musterte meine Persönlichkeit vom Kopf bis zum Fuße, daß ich in peinliche Verlegenheit gerieth. Er sagte, daß er allerdings gesonnen sei, seiner Tochter eine Gesellschafterin beizugeben, damit sie sich hauptsächlich in der Sprache ausbilden solle, daß eine genügende Ausweisung über Reinheit der Sitten und Kenntnisse das Haupterforderniß sei. Ich erzählte in Kürze das Nöthigste und nannte meine Gewährsmänner, worauf Madame M…n flammändisch mit ihm sprach; ich verstand nur, daß sie sich für meine Tugend verbürgte und ihm von meinem Theater-Engagement erzählte. Der General schien befriedigt und fragte, ob ich nicht eine Probe meines Gesanges ablegen wolle. Ich erklärte mich bereit, worauf er mich in das Musikzimmer führte und den prachtvollen Flügel öffnete. Der herrliche Ton des Instrumentes elektrisirte meine Nerven wunderbar, so daß ich mich plötzlich von aller bisherigen