Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/27

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Schwäche befreit und zu dem schwierigen Geschäft des Singens ungewöhnlich stark fühlte. Meine Kraft wuchs mit der Anstrengung, Alles gelang mir in der Ausführung, was mir die Phantasie bot, noch nie hatte ich mich so vergeistigt gefühlt; als ich schloß, hätte ich am liebsten von neuem beginnen mögen, und nur der Applaus meines Zuhörers hinderte mich daran. Der General war entzückt und in seinem Betragen ganz verändert, keine Spur vom Soldaten war mehr vorhanden, er war nur Gentleman und machte Anerbietungen, die für ein kaum siebenzehnjähriges Mädchen großmüthig zu nennen waren. Bevor er die Feder zur Hand nahm, um den Contract auszustellen, erkundigte er sich nochmals umständlich nach meinen Verhältnissen, und als er das Papier mir zur Einsichtnahme überreichte, waren mir 2000 Francs Besoldung ausgesetzt. Auf meine Frage nach seiner Hauptforderung versicherte er, daß bildende und unterhaltende Gesellschaft für seine Tochter zu gewinnen sein Hauptzweck sei; zugleich stellte er mir sein Hotel zur Verfügung. Und um dieses beneidenswerthe Loos sollte mich fast in der nächsten Stunde jugendliche Unerfahrenheit und Weibergeschwätz bringen.

Nachdem ich mich vom General beurlaubt hatte, lud mich die gute M…n auf ihr Zimmer ein, wünschte mir zärtlich Glück und forderte mich auf, schleunig meine neue Stellung einzunehmen. Ich versprach dies und verließ meine Wohlthäterin mit der Versicherung innigster Dankbarkeit. Als ich in meine Wohnung trat, kam mir die Hausbesitzerin mit dem Freudenruf entgegen, daß sie für mich eine allerliebste Stelle gefunden habe, wogegen ich ihr triumphirend meinen neuen Contract hinhielt. Nachdem sie ihn gelesen, fragte sie mit einem prüfenden Blicke: „Wissen Sie, daß der General v. H. Wittwer ist?“

„Ich weiß es; aber er hat ja eine Schwester und seine Tochter und obendarein eine Hausverwalterin bei sich.“

„Nun, so habe ich mich in Ihnen geirrt, sagte sie empfindlich, denn ein verständiges, tugendhaftes Mädchen begiebt sich nicht in das Haus eines einzelnen Herrn, weil sie instinktmäßig fühlt, daß ihre Tugend gefährdet ist und ihr Ruf auf dem Spiele steht.“

Diese alberne Rede betäubte mich gänzlich, obwohl ich nur hätte erwiedern dürfen, daß dann ja ein Wittwer für seine mutterlosen Kinder niemals eine tugendhafte Erzieherin würde finden können, und daß jede Gouvernante beim Tode ihrer Herrin ihre Eleven sofort treulos im Stiche lassen müßte, wenn sie sich nicht für immer blosstellen wollte.