Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/291

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sie eine bedeutende Anzahl nannten, namentlich aber von ihrem kürzlich abgezogenen Hofmeister, einem Polen, und seiner Frau, einer Engländerin, welche zu gleicher Zeit ihre Gouvernante gewesen war, einer früheren, Miß L., und einer noch früheren, Mademoiselle Victorine d’H. Der polnische Hofmeister hatte sie im Lateinischen, Französischen, Deutschen und in der Musik unterrichtet, ihnen schöne Tänze, namentlich phantastische, wie die Menuett de la Cour, Cachoncha und Vestri’s Galopp, Theaterspiel und Declamation eingeübt, seine Gattin hauptsächlich Englisch und Elementarkenntnisse gelehrt. „Bei Miß L. hatten wir es gut, da brauchten wir nicht viel zu machen, denn Papa und sie küßten sich nur immer,“ sagte James.

„Und bei Miß Victorine lernten wir nichts als Französisch und Vögel schinden,“ sagte Jessy.

„Was? Vögel schinden?“ fragte ich verwundert.

„Ja, Victorine suchte immer Vogelnester, rupfte den Jungen die Federn aus, nachher riß sie ihnen auch die Flügel und die Beine aus, und wenn sie recht schrieen, lachte sie.“

„Und erfuhr denn Papa und Mama nichts davon?“

„O ja, die Mama war böse darüber, aber der Papa sagte nichts,“ antwortete John.

„Wie lange war sie bei Euch?“

„Drei Jahre, aber sie ging zweimal während der Zeit nach Frankreich,“ bemerkte jener.

„Was ich aber noch von Papa und unsern Gouvernanten gelernt habe, das verrathe ich nicht,“ sagte der kleine James schalkhaft.

„Werden Sie sich auch nackt malen lassen?“ fragte Jessy.

„Pfui, Jessy, wie kommst Du auf diese Frage? weißt Du nicht, daß sie unanständig ist?“ entgegnete ich verlegen.

„Aber unsere Gouvernanten haben es doch alle gethan, ihre Porträts hängen alle in Papa’s Zimmer, außer Miß L. und Victorine, die hängen im Speisezimmer,“ sagte Jessy.

„Ja, die Badende ist Miß L., und die andere ist Victorine,“ bestätigte John.

Ich war vernichtet durch dieses neue Unglück, denn was konnte ich in diesem Hause und von solchen Menschen erwarten?

„Ihr habt wohl gar keine Mama mehr?“ fragte ich endlich.

„O ja, Sie haben’s ja gehört, daß wir eine haben.“