Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/33

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Betrachtungen ganz hingab. Man darf es nicht nach den bankerotten, großthuigen, schäbigen Briten bemessen, die, nachdem sie zu Hause fertig sind, das Festland demoralisirend überschwemmen und die größten Schelmereien mit einer Würde, mit einem Schick ausführen, der so zu sagen eine Glorie um die Gaunerei verbreitet. In der City war das Gedränge von Wagen, Reitern und Fußgängern so groß, daß wir oft lange halten mußten. Cheapside bildete schon damals an beiden Seiten eine ununterbrochene Reihe von Spiegelscheiben, die man auf dem Continente an den Kaufläden fast noch nicht kannte, hinter welchen alle Produkte der Welt ausgestellt waren. Niemand, der London sah, wird dem Ausspruch unseres göttlichen Schiller widersprechen, daß es der Markt der Welt ist. Indeß ist der Eindruck, welchen dieses Wogen und Treiben der Menschen, diese Hast und Spannung in den Mienen hervorbringt, keinesweges ein wohlthuender, weil sie eine zu starke Gährung der Leidenschaften voraussetzen lassen, als daß man nicht auch die gefährlichsten Explosionen und Reibungen befürchten sollte. Und diese überschroffen Gegensätze, die einem überall begegnen! Ueberall gebückte Greise in Lumpen gehüllt, halbnackte Kinder, mit hohlen Augen bettelnd, auf allen Kreuzwegen und besuchten Straßen elende Krüppel und verhungerte Bettler, die ihre abgemagerten Hände den Vorübergehenden bittend entgegen strecken und lieber sterben, als in die „Schlachthäuser" gehen.

Da mir mein Vater einen Empfehlungsbrief von dem einen der beiden gefeierten altlutherischen Sectirer in D**, dem Diakon Mag. L., an den Geistlichen der Lutherischen Kirche in London, Dr. Steinkopf, verschafft hatte, so beschloß ich, denselben aufzusuchen, in der Hoffnung, einen Rathgeber an ihm zu finden. Weil Mistreß H. mir die Erlaubniß dazu unter allerlei Vorwänden verweigerte, so benutzte ich die Abwesenheit der Herrschaft bei einem Diner und begab mich in einem Miethwagen nach der Wohnung des Geistlichen. Nachdem ich angenommen war, folgte ich der englischen Dienerin nach dem Büchersaale, übergab ihr den Brief und wartete des Bescheides. Endlich erschien Dr. Steinkopf, das Schreiben in der Hand haltend; er empfing mich sehr höflich und nachdem wir einander gegenüber Platz genommen hatten, fragte er mich, ob er mich unter die persönlichen Bekannten L's. zu zählen habe? Ich erwiederte, daß ich denselben nur habe predigen hören und daß ich den Brief vor sechs Monaten durch meinen Vater erhalten hätte.