Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/34

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„Dann wissen Sie wohl nicht, daß L. kürzlich vom Amte suspendirt worden ist?"

Ich hätte eher den Einsturz des Himmels erwartet, als ein solches Ereigniß, und stammelte nach längerem Schweigen ein leises Nein nebst einer Frage nach dem Warum. Steinkopf zuckte verdrießlich mit den Achseln und fing an, mich über meine Stellung zu befragen. Ich erzählte ihm meine Erlebnisse und daß ich auch jetzt mich nicht glücklich fühle, er gab mir viele gute Lehren, schenkte mir ein paar religiöse Bücher und rieth mir, so lange als möglich bei Mistreß H. auszuhalten und mir ihre Zufriedenheit zu erwerben, weil ohne ihre Empfehlung mein Fortkommen in England unmöglich sei.

Jetzt trat einer jener tragikomischen Entscheidungsmomente ein, die nach meiner Erfahrung denjenigen, der sie erlebt, überzeugen sollten, daß er von einem höhnischen Schicksale zum Spielballe grausamer Launen erkoren ist, wenn ich dies auch mit meiner religiösen Ansicht nicht zu vereinigen weiß. Wer weiß aber auch jenes schreckliche 9. Kapitel des Römerbriefes mit der übrigen christlichen Lehre zu vereinigen? und doch bleibe ich im Glauben und denke mit einem anderen Spruche Pauli: „Nehmt die Vernunft gefangen unter den Gehorsam Christi!" – Da ich wußte, daß Dr. Steinkopf mit dem zweiten D**ner Heiligen, dem Pastor St., den wir als ein Ideal aller Vollkommenheit verehrten, bekannt war und mir an seinem Vertrauen unendlich viel lag, so berief ich mich auf Jenen, als auf meinen Beichtvater. Steinkopf blickte mich eine Weile verwundert an und sagte dann in einem ernsten und nachdrücklichen Tone: „Auch dieses kann nicht zu Ihrer Empfehlung gereichen, denn auch Pastor St. hat sich schwerer Vergehen schuldig gemacht und ist nach Amerika geflüchtet."

Mir war zu Muthe wie einem Stürzenden, der die letzte Stütze brechen fühlt, an die er sich klammerte, denn ich empfand, daß ich unter den ungünstigsten Vorbedeutungen debütirte, und nur mein reines Bewußtsein und mein unerschütterlicher Glaube an Gott konnten mich aufrecht erhalten. „Ja, sagte ich endlich, als ich mich von meinem Schrecken erholt hatte, wenn Geistliche so handeln, dann ist es kein Wunder, wenn Treue, Glaube und Vertrauen unter der Menschheit verschwinden!" – Dr. Steinkopf schien schmerzlich berührt, verwies mich schließlich an Gott als den Vater aller Verlassenen, und hiermit endete diese Unterredung. Da ich des Weges unkundig war, so miethete ich wieder einen