Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/54

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sie versuchte auch alles Mögliche, mich an diesen Ruchlosigkeiten zu betheiligen und drohte mir mit ihrer Rache, als sie ihre Pläne scheitern sah. So ließ sie mich eines Tages rufen, als Charlotte ganz nackt und am ganzen Leibe zerschlagen und blutend, an Händen und Füßen gebunden auf ihrem Bette lag. Als ich hereintrat, heftete das arme Kind einen Blick auf mich, den ich nie vergessen werde; die Mutter reichte mir eine ganz zerhauene, bluttriefende Birkenruthe hin und forderte mich auf „auch einmal meine Pflicht zu thun“. Mit der Aussicht auf Befreiung war auch mein Muth wiedergekehrt und ich rief außer mir vor Entsetzen: „Pfui, Sie grausamste, unnatürlichste aller Mütter, diesen Augenblick rufe ich Mord aus dem Fenster, wenn Sie das Kind nicht sogleich befreien und für seine Pflege sorgen!“ – Ich riß zugleich den einen Fensterflügel auf, aber leider ging das Fenster auf das Gehöfte der Lady, deren Stallbedienten gewiß keine Notiz von meinem Geschrei genommen hätten. Doch ließ sie das Kind losbinden, ergriff aber den Kohlenschürer (Poker), der glühend im Feuer lag, und verbrannte Charlotten die Hände damit an verschiedenen Stellen, indem sie rief: „Wenn Du schon bei dieser Kleinigkeit schreist, was wirst Du thun, wenn Du in der Hölle brennen wirst?“

Ungeachtet ich diese Barbareien bereits fünf Jahre gewohnt war, so entsetzte mich doch der Anblick derselben dermaßen, daß ich ohnmächtig zu Boden sank. Als ich erwachte, schwor das Weib mit Thränen, daß sie ihre Kinder blos darum so strafe, um sie von zeitigem und ewigem Verderben zu retten, worauf ich abermals die Unschuld der Kinder betheuerte. – Ich begab mich nach meinem Zimmer und hörte alsbald einen heftigen Tumult auf der Hausflur, begab mich auf die vordere Treppe und erblickte hier den Bedienten in einem Wuthkampfe mit einem starken Manne begriffen. Sie zerschlugen sich Köpfe und Gesichter mit den Fäusten und bluteten schon aus großen Wunden. Plötzlich schlug der Diener seinem Gegner ein Bein, worüber dieser donnernd zu Boden stürzte und die steinernen Platten augenblicklich mit seinem Blute röthete. Aber er hatte auch seinen Feind mit niedergerissen, der in demselben Moment einen gellenden Schrei ausstieß, denn ihm war der Daumen dicht an der Hand abgebissen. Frau M. kam von der Lady mit dem Befehl, das Haus zu verschließen, denn sie hatte aus dem Fenster bemerkt, daß mit dem Fleischer noch eine Menge ihrer Lieferanten erschienen waren, und dieser bemühete sich nun mit seiner