Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/55

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colossalen Gestalt vergebens, das Heer seiner Mitgläubiger einzulassen, denn das Schloß und Thor widerstand seiner Riesenstärke. Als der Fleischer sah, daß weder seine Schmähungen noch seine Bitten etwas fruchteten, nahm er seine Stellung ganz ruhig vor dem Salon ein und erklärte, nicht eher weichen zu wollen, bis er sein Geld erhalten habe. Seine Beharrlichkeit siegte: Abends nach zehn Uhr, wo sich die Uebrigen zerstreut hatten, bezahlte ihn die Lady bei Heller und Pfennig und er räumte das Haus.

Am nächsten Tage begab sich die Lady mit ihren Töchtern über den Hof in ihren Wagen und fuhr aus. Ich kleidete mich sogleich an, um Frl. Ch. einen Besuch zu machen, allein ich fand die vordere und hintere Thüre verschlossen, und als ich den dienstthuenden Lakay deshalb zur Rede stellte, erwiederte er, daß die Lady ihm befohlen habe, mich nicht ausgehen zu lassen. Da half kein Bitten, kein Drohen. – Als die Lady zurückkehrte, kam sie sogleich, von den Kindern und einem bepackten Diener begleitet, in das Schulzimmer, nahm zwei schöne Kleider aus dem Ballen und reichte sie mir und Madame N., der ersten Gouvernante, mit den Worten hin: „Ich mache mir ein besonderes Vergnügen daraus, Ihnen eine angenehme Ueberraschung zu bereiten und zugleich zu beweisen, daß meine Verhältnisse nicht so schlecht stehen, wie Sie vielleicht glauben.“

„Ich würde es für einen Mißbrauch Ihrer Güte halten, Milady, sagte ich, wenn ich dieses Geschenk annähme, da ich nur noch wenige Wochen in Ihrem Hause bleibe. Ich danke Ihnen demungeachtet,“ – setzte ich ablehnend hinzu.

„Unsinn, Unsinn,“ sagte sie mit verbissenem Zorn, und entfaltete verschiedene kostbare Kleider, Mäntel und Stoffe zu Winteranzügen für sich und die Kinder, und schien sich an unserer Verwunderung zu weiden. Die Herrlichkeit war indessen von kurzer Dauer, denn plötzlich erscholl ein heftiger Wortwechsel von der Hausflur herauf und wir hörten ganz deutlich die Worte: „Wenn ich nicht mein Geld oder meine Waaren auf der Stelle bekomme, so lasse ich Lady N. als Schwindlerin verhaften, denn ich habe ihr nichts auf Credit gegeben.“ – Die Lady wollte Widerstand leisten, aber der Kaufmann rief die patrouillirende Polizei, welche auch versprach, sofort Anzeige zu machen. Nun schickte die Lady Alles durch den Bedienten hinunter. Ich fand die Posse höchst