Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/67

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wurde. Ich hatte bis jetzt meinen Gehalt bei Mistreß E. stehen lassen; als wir nun mit einander rechneten, behauptete sie, daß sie mir zehn Pfund, die ich über ihr Gebot gefordert hatte, nicht bewilligt habe; obgleich nun diese Einbuße mir empfindlich war, so legte ich doch einen zu großen Werth auf ihre Freundschaft, als daß ich deshalb hätte mit ihr streiten sollen und fügte mich ihrer Meinung in der Ueberzeugung, daß sie aus Irrthum so handle.

So stand durch eine Kleinigkeit die schöne Frucht der Achtung und des Vertrauens, welche durch Humanität und Talente im Laufe zweier Jahre erwachsen war, in Gefahr und sollte später dennoch zu Grunde gehen. Welches Labyrinth ist Herz und Leben!

Mein Eintritt in das neue Verhältniß geschah unter den günstigsten Anzeichen. Ich hatte bereits ein Jahr lang in der Familie S. unterrichtet, ein Band zärtlicher Freundschaft umschlang mich und meine Schülerinnen und die edle Mutter, die solche Bildungen geschaffen, überließ die Studien gänzlich meiner Anordnung. Nachdem ich den Plan mit ihrer Zustimmung entworfen hatte, wurde derselbe mit größter Folgerichtigkeit durchgeführt, was bei der Ordnungsliebe und Pflichttreue meiner Eleven ohne Schwierigkeit geschehen konnte. – Herr S. hatte das Rectorat von Oundel als Laie käuflich an sich gebracht, was in England nichts seltenes ist; die geistlichen Pflichten wurden von dem Vicar Herrn H. und einem Curat versehen. Das Rectorhaus war ein großes massives Gebäude inmitten eines schönen Gartens im echt englischen Styl, mit hohen Mauern umgeben, und die Einrichtung war ganz den großen Mitteln des Besitzers entsprechend. Einige Schritte davon war die Vicarwohnung, und da die Familien S. und H. durch die innigste Sympathie verbunden waren, so verkehrten sie täglich mit einander. Auch die Letztere schloß alle Elemente einer feinen Gesellschaft in sich. Herr H., ein ehemaliger Offizier, war der letzte Sprosse eines gräflichen Hauses; da er jedoch aus einer Nebenlinie stammte, so standen seinen Ansprüchen auf Titel und Güter große Hindernisse im Wege. Seinem inneren Berufe folgend hatte er die Armee verlassen und sich der Kirche gewidmet, was ihm insofern leicht geworden war, als früher die Geistlichen nicht studirt zu haben brauchten. – Frau H. und ihre zwei verwittweten Schwestern, die bei ihr wohnten, wie auch ihre beinahe erwachsenen Töchter Alice und Editha waren höchst gebildete und liebenswürdige Damen. Da beide Familien musikalisch waren und die