Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/68

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meisten Mitglieder gute Stimmen besaßen, so wurden sehr oft Concerte aufgeführt, und unsere kleine Akademie war weit und breit gerühmt. Bisweilen wurden wir von Frau H. eingeladen, was unsere Jugend als ein Fest betrachtete, obgleich man uns zu Hause weit kostbarere Speisen und Erfrischungen reichte. Weit öfterer indeß versammelte sich jene Familie und bisweilen auch andere Freunde in der Rector-Wohnung, wo der Brennpunkt der Unterhaltung stets ein Leben und Freude verbreitender war.

Ehe man sich trennte, wurde jedesmal ein schöner Choral gesungen, ein Kapitel der Bibel verlesen und von Herrn H. ein Gebet aus dem Stegreife gesprochen, wobei das gesammte Dienstpersonal wie bei den täglichen Morgen- und Abendandachten zugegen war. Aber diese Familie ließ es nicht bei Formen und Gebräuchen bewenden, sondern verfehlte auch nie eine Gelegenheit zum Gutesthun. Außer den großen Summen, welche sie für gemeinnützige Zwecke ausgab, spendete sie vielen Hülfsbedürftigen insgeheim Wohlthaten aller Arten. Die Töchter besuchten alle Armen, und die Kranken in der Stadt und auf dem Dorfe, ihrem Eigenthum, Ashton, versorgten sie mit Arznei, Lebensmitteln, Kleidung und Geld, und pflegten des höchst mühsamen Amtes der Collectensammler für Mission und Bibelverbreitung. Stolz und Unduldsamkeit waren diesen unvergleichlichen Wesen völlig fremd, sie hatten ein Wort des Trostes und der Erbauung und einen herzlichen Gruß für Jeden, und indem sie Tractate, Bibeln und andere Bildungsschriften unter das Volk vertheilten, wurden sie Tausenden rettende Engel. – Oundel war früher wegen Sittenlosigkeit und Irreligiosität verrufen gewesen, seit die Familie S. dort war, zeichnete sich diese Stadt durch Moralität und Frömmigkeit vor andern aus.

In Tansor, unweit Oundel, lebte der Rector Herr W. mit seiner Familie. Mein Ruf als Erzieherin bewog ihn, den Wunsch gegen S.’s auszusprechen, daß ich auch seinen drei Töchtern Unterricht in den Sprachen ertheilen möchte. Frau S. theilte mir dieses sogleich mit der herzlichsten Freude mit und gab mir zugleich die Erlaubniß, meine Freistunden nach meinem Belieben zu verwenden. Auch Herr H. begehrte meinen Unterricht für seine Töchter. Ich kam daher mit jenen zwei Familien überein, jeder von ihnen zwei Nachmittage in der Woche zu widmen, wogegen sie mir ein anständiges Honorar bewilligten, so daß sich mein jährliches Baar-Einkommen auf 1024 Thaler belief. Meine