Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/69

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beiden Schülerinnen in Tansor, Katharina und Auguste, achtzehn und sechszehn Jahre alt, waren ebenfalls hochbegabte und in aller Hinsicht ausgezeichnete Mädchen, und wir gewannen einander so lieb, daß wir uns immer herzlich auf unser Beisammensein freuten. An diesen Tagen gab es nicht selten ein spätes Diner oder sonst eine Gesellschaft, woran ich stets theilnehmen mußte; und es ging dann immer höchst unterhaltend und vergnügt zu. Da die Töchter sehr schön sangen und Piano spielten, auch Herr W. einen guten Baß sang, so widmeten wir immer einen Theil des Nachmittages der Musik, wobei wir oft von gegenwärtigen Bekannten auf der Violine, Flöte und andern Instrumenten unterstützt wurden. So verschafften wir uns oftmals die herrlichsten Genüsse.

Als ich ein Jahr in Oundel zugebracht hatte, erhielt ich von Mistr. E. die Einladung, einige Tage bei ihr zuzubringen, wozu mir Frau S. ihre Erlaubniß bereitwilligst gab. – Ich wurde mit herzlicher Freude empfangen, Frau E. feierte unser Wiedersehen durch ein glänzendes Gastmahl, wobei ich alle besten Freunde mit großem Vergnügen wieder vereinigt sah. Man fand mich allgemein zu meinem Vortheil verändert und freute sich meines Wohlergehens.

Unter den vielen Einladungen, welche ich erhielt, erwähne ich besonders nur die des Fräulein M., in deren Pensionat ich in Stamford unterrichtet hatte. Bei der Festlichkeit, die sie mir zu Ehren veranstaltete, schlug sie ihren Gästen vor, das Residenzschloß des Marquis von E., Burley-Hous, zu besuchen, weil der Besitzer gerade abwesend und der Eintritt dem Publikum gestattet war. Burley-House ward zur Zeit der Königin Elisabeth in dem Styl erbaut, welcher der Elisabethinische heißt. Auf die Größe des Schlosses läßt sich von der Zahl der Fenster schließen, welche sich auf 366 belaufen. Die Halle ist gewölbt und mit Fresco-Gemälden geziert, das jüngste Gericht darstellend. Die Dreieinigkeit im Mittelpunkte derselben, welche den orthodoxen Begriffen gemäß dargestellt ist, ist von mächtigem Eindruck. Unter den Verurtheilten, welche sich in allen Richtungen herabstürzen, zeichnet sich eine weibliche Gestalt durch Schönheit und Ueppigkeit der Formen aus. Unsere Führerin, welche mit der Familien-Chronik bekannt war, erzählte uns, daß diese Figur die damalige Köchin des Hauses vorstelle, welche der Maler, ein Italiener, geliebt, und, da er keine Gegenliebe gefunden, aus Rache derartig preisgegeben habe. Sie fällt mit dem Kopfe zu unterst, und ihr Gewand, der natürlichen Richtung folgend, enthüllt sie verrätherisch