Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/71

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Thee, sie versüßt es, aber man muß es auch ohne sie genießen können.“ – Die Kinder erkrankten nach der Genesung der Eltern sämmtlich in Folge der überstandenen Anstrengungen, aber auch sie rettete der junge Arzt, der zu unserer Verwunderung bei einer starken Praxis jedem Gottesdienst, jedem religiösen Meeting, sogar den Arbeiten der Sonntagsschule beiwohnte. Hinterher ergab es sich, daß sein Antrieb allerdings die Menschenliebe gewesen war, denn es gelang ihm, Mary als Braut heimzuführen. Der ehrwürdige Herr S. war leider nicht lange Zeuge des ehelichen Glückes seiner Kinder, denn er ward uns im folgenden Winter durch den Tod entrissen. Ich beweinte ihn wie einen Vater, denn er hatte mich stets wie eine Tochter behandelt, und sein Tod machte eine unausfüllbare Lücke in unserem Kreise. Die Armen indeß fühlten seinen Verlust jedenfalls am schmerzlichsten.

Eines Tages redete mich in Tansor Mistreß W. zu meinem Staunen also an: „Es ist mir unmöglich, Sie länger in einer Gefahr zu wissen, ohne Sie davor zu warnen. Ich weiß, daß Herr J. – ältester Bruder meiner Zöglinge – sich um Ihre Gunst bewirbt; aber nehmen Sie sich in Acht vor ihm und ein Beispiel an meiner Tochter Anna.“

Ich wußte von nichts, als daß diese ihre älteste Tochter etwas schwermüthig war, und bat sie, sich näher zu erklären.

„Wissen Sie nicht, fuhr Mistreß W. traurig fort, daß Anna durch J.’s Schuld geisteskrank ist? Sie hat jetzt wieder einen Anfall von Wahnsinn, und ich weiß nicht, wo das hinaus soll!“

„Ich weiß von alledem nichts, Madame, aber am wenigsten, daß Herr S. ein solches Unglück über Ihre Familie gebracht hat.“

„Ja, er hat meine Tochter betrogen und um ihr ganzes Lebensglück gebracht! Unsere Kinder wuchsen mit den S’schen auf wie Geschwister und wir Eltern freuten uns über ihre gegenseitige Zuneigung. John gewann nach langen und unablässigen Bemühungen das Herz unserer Anna; er hielt um ihre Hand an und erhielt sowohl unsere wie seiner Eltern Zustimmung zu dieser Verbindung, worauf die Verlobung erfolgte. Da aber Anna noch sehr jung war, hielten wir es für zweckmäßig, sie auf ein Jahr nach Paris zu schicken, um ihre Erziehung auf eine glänzende Weise vollenden zu lassen. Als sie wieder zurück kam, war er ein veränderter Mensch: kalt und befangen in ihrer Nähe, schien er fortwährend einen inneren Kampf zu bestehen, der ihn unruhig und unstät machte; und wie er sie früher gesucht, vermied er sie jetzt geflissentlich.