Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/90

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an den Ufern der Maas wieder unterhaltend wurde, und zwar vor Vervier, wo wir zur Rechten wieder den Fluß, zur Linken hohe Berge hatten. Einige neue Schlösser, die wir hier sahen, blieben freilich in der Wirkung hinter den alten Ritterburgen zurück. – Vervier hat eine große Kanonengießerei und wir sahen schon von weitem die thurmhohen Schornsteine, welche, in Verbindung mit den gefängnißartigen Fabrikhäusern, allen industriellen Oertern ein so prosaisches Ansehen geben. Um so poetischer war das Gefühl, welches mich überkam, als wir in Aachen, die alte Kaiserstadt, einzogen. Wunderbares Würfelwerk der Geschichte! In dieser tausendjährigen, halbverfallenen Metropole bezogen wir ein modernes Hotel „Zu den vier Jahreszeiten“ und bekamen die prächtigsten, fashionablesten Zimmer, die ich jemals in einem Gasthause oder einer Privatwohnung gesehen, ausgestattet mit allem Comfort von 1840. Aachen, das vor fast elfhundert Jahren den mächtigsten und genialsten Herrscher der damaligen Christenwelt in seinen Mauern leben und sterben sah! Ich brannte vor Begierde, Thron und Gruft Karls des Großen zu sehen, aber in dieser steifen, stockenglischen, deutschfeindlichen, spindeldürren Miß mußte sich die Ironie des Schicksals verkörpern, die es der Patriotin versagte, die Schwelle des Doms zu überschreiten, wo ihr erster und ältester König ruht. Miß M. erklärte rund und nett, ihre Reise habe blos das Vergnügen zum Zweck, Kunst und Geschichte lägen ihr fern; somit war sie nicht zu bewegen, das Innere der Kirche in Augenschein zu nehmen. Echt englischer Egoismus, der an den erhabensten Erinnerungen und ehrwürdigsten Denkmälern kein „Vergnügen“ findet, sobald sie nicht nach Beefsteaks und Porter riechen; echte Brutalität, die nicht begreift, daß aus den edelsten Trieben der Begeisterung für Kunst und Geschichte das schönste „Vergnügen“ entspringt. – Das Aeußere des Domes steht, da er im byzantinischen Style gebaut ist, an Erhabenheit den gothischen weit nach; die Rundbogen und breitwüchsigen Thürme sehen neben den Spitzbogen und himmelanstrebenden, durchsichtigen, schlanken und leichten der Gothik trübselig und gequetscht aus. Die Stadt liegt in einem schönen Thale und die umgebenden Berge bieten viele Trink- und Bade-Anstalten, reizende Promenaden und Vergnügungs-Oerter. Obwohl wir aber volle acht Tage hier blieben, war es mir doch unmöglich, den Dom zu durchwandern; die Spazierfahrten waren täglich neu, und es war mir nur unmöglich, einzusehen, warum Miß M., die das Theater und alle öffentlichen