Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/91

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Unterhaltungen mied, auch den altehrwürdigen Münster floh. – Ueberhaupt habe ich gefunden, daß zwei Frauenzimmer auf die Länge sich mit einander langweilen oder zanken, vollends wenn eine Engländerin dazu gehört. Meine Gebieterin besaß viel Geist und Phantasie, auch die Kunst, Eindrücke, Gedanken und Ansichten mit Leichtigkeit und Anmuth auszusprechen; dagegen aber war wieder ihr Urtheil schwach und fehlerhaft. Und wer weiß, welche Fehler sie ihrerseits an mir herausfand. So beschäftigten wir uns denn viel mit Lesen und Schreiben, woneben ich selbstverstanden die Obliegenheit hatte, die langen Tiraden meiner Dame mit gebührender Bewunderung anzuhören und mit möglichst treffenden Antworten zu erwiedern. Bisweilen erwachte in dieser qualvollen Lage der Humor in mir: ich mußte über meine freiwillige Marter laut lachen, und wenn mich die Miß dann verwundert ansah, suchte ich ihr zu beweisen, daß ihr unaussprechlich feiner und versteckter Witz die Ursache meiner Fröhlichkeit sei. Dagegen hatte die heitere Gemüthlichkeit der Aachener, welche in den lauen Sommernächten singend und musizirend auf den Straßen umherzogen, für mich unbeschreiblichen Reiz, wie in materieller Beziehung das milde Klima und der Genuß der herrlichen Natur auf meine Gesundheit unendlich wohlthuend einwirkten.

Es war ein reizender Morgen, als wir diesem Schauplatze fast heiliger Erinnerungen Lebewohl sagten und durch eine ziemlich einförmige Gegend dem Rheine zueilten. Eine herrliche Ueberraschung ward uns zu Theil, als wir an den Rand der Erderhebung kamen, von welcher wir die weite Rhein-Ebene und das alte Colonia Agrippina mir seinen vielen Thürmen und Festungswerken erblickten. Dieser Agrippina geht es wie manchen alten Agrippinen unter den Menschen, sie sieht sehr schön in der Ferne aus, in der Nähe aber verliert sie allen Reiz, und zwar durch ihren höllischen Dunstkreis. Nirgend wäre eine Parfümerie-Fabrik besser angebracht als hier, ich glaube, als Festung wäre sie durch ihren mephitischen Geruch uneinnehmbar. Wir wenigstens machten augenblicklich Kehrt und schlugen unsere Herberge am andern Ufer im Deutzer Hofe auf, einem schönen und ausgezeichneten Gasthof mit guten Zimmern und ausgezeichneter Tafel. Sonderbar genug eilte Fräulein M. hier schon am nächsten Morgen in den Dom, der mir trotz seiner Berühmtheit immer noch nicht so wichtig war, wie der weniger gefeierte Aachener. Es versteht sich, daß in Memoiren technische