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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

spätestens in einer Stunde wieder da sein würde. – Falls jemand käme, solle der Betreffende nur warten. – Es war inzwischen ½6 geworden und er mußte sich beeilen, wenn er die beiden Gänge, die er vorhatte, so schnell erledigen wollte. Bevor er sein Zimmer verließ, schaute er darin prüfend umher, besonders musterte er seinen Schreibtisch auf etwaige liegengebliebene Blätter. Grosse hatte zum Schreiben eine fast neue weiße Löschblattunterlage benutzt; auf dieser zeigten sich kreuz und quer in Spiegelschrift verschiedene Reihen von Buchstaben, – die Abdrücke der vorhin von Werres diktierten Briefe. Diese Unterlage zerriß Werres in kleine Stückchen und steckte sie in den Ofen, den er dann wieder zuschraubte. Dann verließ er das Zimmer und ging schnellen Schrittes die Abeggasse entlang, bestieg an der Kreuzung der Friedrichstraße eine Elektrische, die in der Richtung nach dem Schützenhause fuhr. Vor dem Schützenhause, einem großen Gebäude mit dahinterliegendem stattlichen Park, verließ er den Wagen und betrat die Restaurationsräume. Ein Kellner wies ihn an das Büfett, wo es die Eintrittskarten für die heutige Aufführung der freien dramatischen Vereinigung geben sollte. Werres erstand zwei Logenplätze hintere Reihe und bezahlte 6 Mark dafür. – Der nächste Wagen der elektrischen Bahn brachte ihn wieder in das Zentrum der Stadt zurück. Dann stieg er in der Nähe des Friedrichsschen Bankgeschäftes aus und ging langsam, als ob er durchaus keine Eile habe, durch die Eingangstür und stieg die wenigen Stufen zu dem Korridor empor. Der dicke Portier saß in seiner Loge und studierte die Abendzeitung. Werres klopfte leise an das Fenster, und den ehrfurchtsvollen, beinahe etwas erschreckten Gruß des Portiers erwidernd, fragte er, ob der Herr Prokurist Westfal zu sprechen sei. Der Portier hatte schnell das kleine Fenster aufgerissen und sagte mit abgezogener Mütze: „Jawohl, Herr Kommissar – er ist oben – erster Stock, erste Tür rechts.“ Werres schritt den Korridor entlang. Ein eigenartiges Gefühl überkam ihn, als er in diesem stillen Gebäude über den jeden Schall dämpfenden Läufer ging. Die Ruhe in dem großen Hause wirkte auf seine Nerven aufreizender als draußen der Straßenlärm. Er dachte zurück an jenen Vormittag, als er zum ersten Male diese Räume betreten, dachte daran, wie er sie nach wenigen Stunden verlassen hatte. In diesen Stunden hatte er noch nicht beweisen können, daß sein Spott, seine Ironie, mit der von ihm die Meinungen der anderen lächelnd abgetan wurden, berechtigt waren. Und jetzt?! Wie war er heute wiedergekommen – als Sieger! Als er an der ihm bezeichneten Tür im ersten Stock angeklopft hatte, wurde drinnen laut „Herein“ gerufen. Werres öffnete die Tür und betrat das Zimmer. Herr Westfal empfing ihn sehr höflich, wenn man ihm auch das leise Erstaunen über diesen Besuch etwas anmerkte. Er bot Werres einen der bequemen, lederüberzogenen Sessel an und drehte dann das elektrische Licht über dem großen Mitteltische auf, da die Glühlampe auf seinem Schreibtisch nur wenig Licht verbreitete. Werres hatte schnell den Raum mit seiner einfachen, aber gediegenen Einrichtung überschaut und wandte sich nun an den Prokuristen, der sich ihm gegenüber in einen anderen Sessel gesetzt hatte. – „Herr Westfal, ich komme mit einer Bitte zu Ihnen. Die Untersuchung in der Sache Friedrichs will nicht recht vorwärts gehen. Weil wir uns nun von einer nochmaligen – ich möchte sagen privaten Unterredung mit den Herren Ihres Geschäfts etwas versprechen, wollen wir morgen vormittag gegen 11 Uhr uns hier einfinden und, da wir auch nochmals eine Lokalbesichtigung vorzunehmen gedenken, wird es am besten sein, wenn wir das Privatkontor Ihres ermordeten Chefs zu dieser Besprechung benutzen. Wollen Sie daher so liebenswürdig sein, die beiden Herren Kassierer davon zu benachrichtigen – und vielleicht bestellen Sie auch den Portier und den Laufburschen hierher. – Also dann morgen um 11 Uhr und Ihre Herren und die beiden anderen Leute sind dann bestimmt zur Stelle.“

(Fortsetzung folgt)
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/43&oldid=- (Version vom 31.7.2018)