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Walther Kabel: Der Fall Routland. In: Das Buch für Alle, 47. Jahrgang, Heft 15, S. 340–341

Der Fall Routland.
Von W. Kabel.
(Nachdruck verboten.)

In der Nacht zum 4. Mai 1910 wurde in San Franzisko auf raffinierteste Art und Weise der Laden des Juweliers Danzer ausgeräumt, wobei Pretiosen im Werte von etwa fünfzigtausend Dollar gestohlen wurden. Das auffallende bei diesem Diebstahl war aber, daß der geschädigte Juwelier genau einen Monat nach der für ihn so verhängnisvollen Nacht einen Brief erhielt, in dem sich in Scheinen genau dieselbe Summe befand, auf die er seinen Verlust abgeschätzt hatte. Man nahm damals an – und die Sachlage ließ ja auch keinen anderen Schluß zu –, daß die Einbrecher plötzlich Reue über ihre Tat empfunden und Danzer aus diesem Grunde den erlittenen Schaden ersetzt hätten.

Zwei Monate später – wieder an einem Vierten – verschwand aus dem Stadtmuseum ein Goldblock von vierzig Pfund Gewicht, den ein Goldminenbesitzer als Rarität dem Institut gestiftet hatte. Wie dieser Diebstahl trotz der scharfen Aufsicht in den Museumsräumen hatte ausgeführt werden können, war nicht festzustellen. Alle Zeitungen besprachen das Ereignis, und eine Anzahl Privatdetektive, darunter die besten Amerikas, nahmen sich der Sache an – alles vergeblich. Da, vier Wochen später, wurde dem Museumsdirektor mit der Post ein schweres Kistchen zugesandt. Und darin befand sich nichts anderes als – der Goldblock. Keine Zeile lag dabei – nichts. Man stand vor einem völligen Rätsel. Schon damals wurden Stimmen laut, die behaupteten, zwischen den Dieben, die den Juwelierladen geplündert hatten, und den Entführern des Goldklumpens müsse irgend ein Zusammenhang bestehen. Gewißheit über diesen Punkt war jedoch nicht zu erlangen.

Vier Monate hatte San Franzisko Ruhe. Dann verbreitete sich die Nachricht, daß von den mit dem Postdampfer „Canadian“ von Hongkong eingetroffenen Postsäcken zwei auf geheimnisvolle Art beim Ausladen im Hafen verschwunden seien. Die Abendblätter vom 4. November 1910 berichteten eingehend über diesen frechen Raub, der nur am Morgen desselben Tages unter den Augen der das Ausladen überwachenden Postbeamten geschehen sein konnte. Mit Feuereifer wurde der neue Fall untersucht. Aber es kam leider auch diesmal nichts dabei heraus. Die Spitzbuben blieben unentdeckt, trotzdem man jetzt wenigstens eine, wenn auch recht unbedeutende Spur hatte, der man nachspüren konnte. Es war nämlich festgestellt worden, daß an dem betreffenden Morgen ein elegantes Auto dicht an der Anlegestelle des Dampfers gehalten hatte und plötzlich in schnellster Fahrt davongeeilt war. Wer jedoch der Besitzer des Automobils gewesen war, und zu welchem Zwecke er so dicht am Hafenbollwerk gestanden hatte, vermochte man nicht herauszubringen. Der Wert der in den beiden gestohlenen Säcken enthaltenen Geldbriefe war von den Absendern mit 482 550 Dollar deklariert worden, und diese Summe zu ersetzen schickte sich die so empfindlich geschädigte Postbehörde bereits an, als am 11. Dezember, also etwas über einen Monat später, mit dem Dampfer „Alaska“, der derselben Reederei wie der „Canadian“ gehörte, von Hongkong ein Wertpaket für die Polizei in San Franzisko anlangte, in dem sich unversehrt und uneröffnet der gesamte Inhalt jener beiden Verschwundenen Postsäcke – abermals ohne jedes Begleitwort – vorfand.

Die Sache wurde immer rätselhafter. Die Diebe hatten, um die Beförderung ihrer Sendung mit der „Alaska“ von Hongkong aus möglich zu machen, die Postsäcke sofort am Tage nach dem Diebstahl, also am 5. November, durch einen Vertrauensmann nach Hongkong bringen lassen müssen, sonst hätten sie dort den Anschluß an die „Alaska“ nicht mehr erreicht. Am 5. November war aber von San Franzisko der „Rekord“, ein moderner Schnelldampfer, nach China abgegangen, und daß jener Mitschuldige der geheimnisvollen Gauner diesen benützt hatte, konnte keinem Zweifel unterliegen, da es von ganz Nordamerika aus keine schnellere Verbindung nach ostasiatischen Häfen gab. Dies hatte die Friskoer Polizei sehr bald herausgeklügelt, und ähnliche Vermutungen konnte man in allen kalifornischen Blättern lesen. Dabei blieb es aber auch. Die Behörden strengten sich – der Raub war ja von den Spitzbuben wieder herausgegeben worden – nicht weiter an, die ebenso großmütigen wie unverständlichen Herren Gauner aufzustöbern.

Schon zu jener Zeit – es war Weihnachten 1910 – schrieb der Friskoer „Morgenbote“ wörtlich: „Daß es sich bei diesen drei Diebstählen, die mit offenbarer Absicht stets an einem Vierten verübt wurden, und deren Urheber mit ebenso leicht zu durchschauender Absichtlichkeit ihren Raub stets nach vier Wochen wieder herausgaben, um recht wenig witzlose Scherze überblasierter reicher Herren handelt, deren erschlaffte Nerven nur noch durch die mit verbrecherischen Unternehmungen verbundenen Aufregungen angeregt werden können, steht für uns fest. Ebenso haben wir die demütigende Überzeugung, daß die Polizei bei einigem guten Willen diesen für den Spitzbubenberuf fraglos recht geeigneten Herren sehr schnell das Handwerk legen könnte, wenn sie daran nicht durch Rücksichten gehindert würde, die hierzulande leider jeder auf einen wohlgefüllten Geldschrank zu nehmen gezwungen ist.“

So weit der „Morgenbote“. Anderswo hätte die derart angegriffene Sicherheitsbehörde hierauf vielleicht mit einer Beleidigungsklage geantwortet. Im freien Amerika, wo jeder das Recht hat, sich sein Herz nach Belieben zu erleichtern, dachte niemand daran. Nur die übrigen Friskoer Zeitungen, auf den „Morgenboten“ mit seinen über hundertachtzigtausend Abonnenten längst neidisch, sprachen von „schamlosen Verdächtigungen“, von „der gewissenlosen Bloßstellung gegenüber dem Auslande durch ein sensationshungriges Revolverblatt“, konnten damit jedoch die öffentliche Meinung, die dem „Morgenboten“ in allen Stücken recht gab, nicht zu einer harmloseren Auffassung der merkwürdigen Diebstähle bekehren.

Der so heftig befehdete „Morgenbote“ ließ sich die Angriffe der werten Konkurrenz ruhig gefallen, betraute aber insgeheim den Redakteur des Gerichtsteiles, Thomas Longrean, der über mancherlei praktische Erfahrungen als Gelegenheitsdetektiv verfügte, mit der Aufgabe, Licht in die dunkle Affäre zu bringen. Longrean verschaffte sich schon nach kurzer Zeit, ohne von seinen Absichten etwas merken zu lassen, die für ihn in Frage kommenden Passagierlisten der „Alaska“ und des „Rekord“ und stellte aus ihnen fest, daß ein gewisser Albert Routland, der Sohn eines millionenschweren Friskoer Börsenmaklers, am 5. November 1910 mit dem

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Der Fall Routland. In: Das Buch für Alle, 47. Jahrgang, Heft 15, S. 340–341. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1912, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Fall_Routland.pdf/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)