Opfer, das nur nicht dargebracht werden kann, weil der Tempel zerstört ist.“
Wenn das von einzelnen Juden behauptet wird, so kann die Möglichkeit, daß auch Juden dem religiösen Wahn verfallen und auf Abwege kommen könnten, nicht geleugnet werden. Dr. Delitzsch, Dr. Strak und ich haben auch niemals in Abrede gestellt, daß dieses möglich sei, und daß es Juden geben könnte, welche dem Christenblute eine heilende und heiligende Wirkung zuschreiben. Ob es auch wirklich solche Juden gegeben hat, dafür muß der Nachweis auf geschichtlichem oder gerichtlichem Wege geliefert werden. Aber das ist grundfalsch und muß von dem Geschichtskenner mit aller Entschiedenheit geleugnet werden, daß der Jude sehr leicht auf Ritualmord-Gedanken kommen kann. Nein, das gerade Gegenteil ist wahr, daß der Jude nur sehr schwer, viel schwerer als Heiden oder Christen auf solche Gedanken verfallen kann. Zur Begründung dieser Behauptung wird es genügen, auf folgende Thatsachen hinzuweisen:
Seitdem der Tempel zu Jerusalem am 5. August des Jahres 70 n. Chr. in Flammen aufgegangen ist, wird von den Juden kein Opfer mehr dargebracht. Nach der allgemeinen rabbinischen Lehre ist jede Opferhandlung außerhalb des Tempels widergesetzlich, und jeder Zuwiderhandelnde wäre mit Ausrottung zu bestrafen. Selbst der Gebrauch einzelner Juden, am Vorabende des Osterfestes gebratenes Fleisch nur als Erinnerung an die ehemalige Ostermahlzeit zu genießen, wurde von Ängstlichen verworfen. An die Stelle des Opfers ist das Gebet getreten.
Wenn übrigens auch der Tempel zu Jerusalem wieder aufgebaut würde, wäre es den Juden nicht möglich, gesetzliche Opfer in gesetzlicher Weise darzubringen. Die Opfer können nämlich nur durch die Vermittlung der Priester aus dem Stamme Levi und der Familie Aarons dargebracht werden. Seitdem jedoch mit dem Tempel zu Jerusalem auch die Stammregister der Juden zu Grunde gegangen sind, und die Juden in alle Länder zerstreut wurden, sind die Überlieferungen über die Abstammung der einzelnen Familien immer unsicherer geworden und haben sich allmählich ganz verloren. Es würden also die Priester fehlen, durch deren Hände die Opfer dargebracht werden müßten.
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/44&oldid=- (Version vom 31.7.2018)