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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

nennen), da wird die Notstandsforschung einer teleologischen Denkart zur verräterischen Symptomatik der biotisch bereits niedergehenden und sich selber zweifelhaft gewordenen Rasse.

Wo ein Volk blüht, wo die Natur schöpferisch sich erfüllt und sich nicht im Geiste gegen sich selber kehrt (denn hinter jeder Psychoanalytik liegt die schwer aufzugrabende Wurzel des moralischen „Selbstverachtens“), da ist das Wunder - das Natürliche.

Träumen, Glauben, Eros, Musik, Schönheit, Ekstatik, Genialität sind weder fragwürdig, noch ableitbar, noch problematisch. Sie sind wie alles Schöne, mit einem Worte Indiens gesprochen, „das Wollustwesen des Lebens selbst“ (ânandamâya âtman). Sie gehören durchaus nicht wie das Ethische oder wie das Logische in die Reihe der Werte. Schönheit ist Ausdruck lebendigen Wohlgelingens. Entschwert, schwerelos, selig in sich, in sich selber froh.

Wo nun aber die Naturverbundenheit locker, die Substanz schwach, das Lebensgefühl in sich selber abgedrängt wird, da gewinnen alle Wunder des Lebens den Charakter des Ableitbaren und Erklärungsbedürftigen. Eros, Glaube, Genie erscheint nun nicht unmittelbar als ein selbstverständliches, sich erfüllendes, freies Leben, sondern als der Notausgang einer bedrohten oder bedrohlichen Situation. Also als ein Ziel-, Handels- und Erfolgsphänomen. Jetzt übermächtigen die unphilosophischen Köpfe die Philosophie: praktische Ärzte, Pädagogen, Pragmatiker, Seelsorger, alle, welche kausalgenetisch eingestellt sind auf das Machen, Verbessern, Zustandebringen. Ja, jetzt können Amerikanismen

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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/65&oldid=- (Version vom 5.7.2016)