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des Anerbenrechtes für bäuerlichen, mitunter für ländlichen Grundbesitz überhaupt, auch des Rechts der Fideikommisse. Das ist in Preußen auch in der jüngsten Periode seit 1888 im ganzen so geblieben, doch sind einzelne Erneuerungen und Fortbildungen besonders im Gebiet des ländlichen Anerbenrechtes und für Zwecke der inneren Kolonisation, sowie für Förderung der Kreditverhältnisse und ländlichen Produktions- und Absatzverhältnisse, namentlich durch genossenschaftliche Einrichtungen, erfolgt. Durch Entwicklung des ländlichen Fachschulwesens hat eine Verbreitung der Kenntnisse agrarischer Technik und vornehmlich auch im Gebiet des Meliorations- und Kunstdüngerwesens eine erhebliche Förderung der Landwirtschaft stattgefunden. Der Fortschritt zu intensiverer Bewirtschaftung, zum Übergang von der Körnerwirtschaft mehr zur Viehwirtschaft ist damit begünstigt worden. Durch Gewährung steigenden und nach einer bedenklichen Verminderung in der Zeit der Reichskanzlerschaft Caprivis später wieder ausreichend gewährten Zollschutzes, besonders für Getreide, ist der Landwirtschaft auch der notwendige im Gesamtinteresse der Volkswirtschaft und der Nation liegende Schutz gegen die erdrückende Preiskonkurrenz des noch schwach bevölkerten und extensiv wirtschaftenden Auslands und gegen die Folgen der die Fernfrachten vermindernden Entwicklung des Kommunikations- und Transportwesens, zu Land und namentlich auch zu Wasser, gewährt worden. An dieser internationalen Handels- und Tarifpolitik ist, abgesehen von der Schwankung zu Caprivis Zeit, trotz aller Gegnerschaft des reinen Konsumenteninteresses und des Freihändlertums, auch im letzten Vierteljahrhundert festgehalten worden, besonders im Zollgesetz 1902, einem Hauptpunkte der Bülowschen Kanzlerperiode. Und im ganzen mit Recht. Durch diesen in der ersten Reichsperiode seit 1879 eingeleiteten Agrarschutz mit seinen bedeutsamen Folgen, auch nach der finanziellen Seite, hat die gesamte deutsche Wirtschaftspolitik ihren eigentümlichen Charakter einer konsequenten Verbindung wirtschaftsfreiheitlicher und regulierender und schützender Momente auch bis zur Gegenwart behalten. Die tatsächliche Gesamtentwicklung des deutschen Wirtschaftslebens zeigt, daß das zu seinem Segen war.

Ob die Verkehrsfreiheit in Grundbesitzwechsel in Land und Stadt, ob die Verschuldungsfreiheit, ob die Kauf-, Pacht- und Mietpreisfreiheit nicht manche bedenkliche Folgen gezeigt haben, die Spekulation in landschaftlichem und städtischem Grundbesitz nicht manche Schäden allgemein volkswirtschaftlicher und sozialer, damit auch politischer Bedeutung hervorgerufen hat, ob hier nicht namentlich seit den höheren Agrarschutzzöllen der Besitzwechsel der ländlichen Großgüter und die Preissteigerung dabei zu groß, rasch und schädlich geworden, der Auskauf von Bauernland durch Großgrundbesitz und neuerworbenes bewegliches Kapital nicht zu umfassend geworden ist, taucht dabei freilich als eine kaum zu verneinende Frage auf. Die Gesetzgebung ist demgegenüber bisher untätig geblieben, bis auf die Steuergesetzgebung und Steuerveranlagungspraxis, die in der Entwicklung der Wertzuwachssteuer und der Besteuerung nach dem gemeinen Werte, allerdings hier auch mit den volkswirtschaftlichen Folgen dieser Besteuerungen, neue Wege vorsichtig einzuschlagen begonnen hat. Dadurch ist tatsächlich, wenn auch bisher kaum klar bewußt, auch in diesem Punkte die betreffende Besteuerung in sozialpolitische Wege mit hinübergeführt worden. Hier liegen noch weitere Aufgaben für die

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/17&oldid=- (Version vom 13.12.2020)