Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/604

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

erfahren, als die katholischen Studentenkorporationen. Der Ansturm vom Jahre 1905, wo man ihnen im Namen der akademischen Freiheit die Freiheit zu existieren absprechen wollte, ist noch in lebhafter Erinnerung. Nun ist zuzugeben, daß die Scheidung unserer Studenten nach Konfessionen kein Idealzustand ist. Aber andererseits kann man nicht erwarten, daß die konfessionelle Scheidung unseres Volkes sich nicht auch im studentischen Leben irgendwie äußere. Warum die Religion, die nun einmal konkret in den verschiedenen Kirchen ausgeprägt ist, nicht ebenso Einigungsprinzip sein darf, wie manches andere Ideal, ist nicht einzusehen. Wenn es konfessionelle Studentenverbände in früheren Jahrhunderten nicht gab, so erklärt sich das einfach daraus, daß seit der Reformation die Universitäten selbst konfessionell waren und zumeist auch nur Studenten eines Glaubens hatten. Daß auch an den – wenigstens soweit es auf die Hörer ankommt – paritätisch gewordenen Hochschulen erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts der Unterschied der Konfession in den studentischen Korporationen sich geltend macht, während er vorher kaum hervortrat, ist eben ein Symptom der seit den fünfziger Jahren überhaupt, und zwar nicht nur von katholischer Seite, stärker werdenden Betonung der Konfessionen. Sind ja die Satzungen mancher Verbindungen teilweise in einem Sinne umgestaltet worden, der den Katholiken mit den Grundsätzen seiner Kirche in Konflikt bringen mußte. Der Kulturkampf hat dann das Weitere getan, wie überhaupt alle Angriffe immer nur zum Zusammenschluß und damit zur Verstärkung der „ultramontanen“ Elemente geführt haben. Übrigens haben eifrig kirchliche Kreise an den katholischen Studentenvereinigungen nicht selten auszusetzen, daß sie sich zu wenig um kirchliche Interessen kümmern. In dieser Bemängelung von entgegengesetzten Seiten dürfte ein günstiges Zeugnis liegen. Jedenfalls ist von konfessioneller Unduldsamkeit bei den fraglichen Verbänden keine Spur zu finden. Läßt man sie ruhig gewähren, so wird das so bleiben, und damit ist schon viel erreicht. Mißhandlung und Bedrückung aber, zumal unter dem Aushängeschild akademischer Freiheit, wäre das sicherste Mittel, sie zu dem zu machen, was man gelegentlich schon bisher fälschlich in ihnen sah: Brutstätten eines unduldsamen, engbrüstigen Katholizismus. Schon die Hetze vom Jahre 1905 ist hier nicht ganz ohne schädlichen Einfluß geblieben. Die patriotische Gesinnung der katholischen Studentenverbände ist über allen Zweifel erhaben. Man hört dort, und zwar nicht nur bei festlichen Anlässen, wo man sagen könnte, es werde zum Fenster hinausgeredet, so warme, begeisterte Töne namentlich über unsern Kaiser, daß man in dieser Hinsicht nicht den geringsten Unterschied findet zwischen diesen Feiern und etwa den Kaiserkommersen der Korps. Wir sprechen aus Erfahrung. Sobald die anderen Korporationen ihre Statuten so weitherzig gestalten, daß auch ein Katholik ohne Gewissenskonflikt ihnen beitreten kann, wird den konfessionellen Studentenverbindungen der Boden entzogen. Täuscht nicht alles, so ist das akademische Korporationswesen überhaupt großenteils überlebt und in einer gründlichen Umgestaltung begriffen, indem mehr fachliche, sportliche und soziale Interessen für Gruppenbildung maßgebend werden sollen. Daß innerhalb dieses Einteilungsprinzips noch religiöse Gesichtspunkte mit Erfolg sich geltend machen können, ist wenig wahrscheinlich. Damit wäre die Frage der konfessionellen Korporationen von selbst erledigt.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1041. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/604&oldid=- (Version vom 14.2.2021)