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eher zu niedrig als zu hoch gegriffen ist, werden dem deutschen Nationalvermögen 20 Milliarden Tonnen Kohle mehr nutzbar gemacht, als es ohne Spülversatz möglich wäre, und so die Steinkohlenförderung Deutschlands um mindestens 100 Jahre verlängert.

Der Grubenausbau dient einerseits dazu, die unterirdischen Verkehrswege dauernd offen und zugänglich zu erhalten und andererseits dazu, die Arbeiter vor Stein- und Kohlenfall zu schützen und die ausgehöhlten Räume vorübergehend so lange offen zu halten, bis der Arbeitsstoß weiter gerückt ist und die hergestellten Hohlräume regelrecht zu Bruche gegangen oder versetzt worden sind.

Während in den letzten 25 Jahren beim dauernden Ausbau der Wetter- und Förderstrecken keine Neuerungen von einschneidender Bedeutung eingeführt worden sind und man sich darauf beschränkt hat, die Dauerhaftigkeit des Holzbaues durch Imprägnieren zu erhöhen und ihn stellenweise durch Stahl und die übliche Mauerung durch Beton oder Eisenbeton zu ersetzen, um einen stärkeren und billigeren Ausbau zu erhalten, sind in dem nur vorübergehenden Ausbau der Abbaubetriebe beim Steinkohlenbergbau wesentliche Fortschritte erzielt worden. Man bemühte sich früher, den Ausbau fest und starr und so herzustellen, daß er dem Drucke des Hangenden möglichst lange unverrückt widerstand und ihm wenig nachgab. In den letzten Jahren ist man dazu übergegangen, einen elastischen und nachgiebigen Ausbau anzuwenden, der sich dem Drucke des Hangenden anzupassen und ihm so lange nachzugeben vermag, als bis das durch die Gebirgsdurchörterung gestörte Gleichgewicht der Schichten wiederhergestellt ist. Zu diesem Zwecke schwächte man die Stempel, die den Druck des Hangenden aufnehmen sollten, indem man sie an ihrem unteren Ende zuspitzte. Wenn sich nun auf den zugespitzten Stempel der Gebirgsdruck legte und immer mehr anwuchs, so knickte der Stempel nicht, wie es früher der Fall war, ein und verlor dadurch vollständig seine Tragfähigkeit, so daß er ausgewechselt werden mußte, sondern der Druck treibt lediglich die Spitze des Stempels quastenartig auf und verkürzt so den Stempel ein wenig. Je mehr der Stempel aber durch die weiter fortschreitende Quastenbildung gekürzt wird, um so tragfähiger wird er, weil der Druck nunmehr auf den immer stärker werdenden oberen Teil des Stempels übergeht. Da der Gebirgsdruck aber beim weiteren Sinken des Hangenden nachläßt, da sich dieses auf den Kohlenstoß legt und dort unterstützt wird, so ist bald ein Gleichgewichtszustand zwischen Stempelfestigkeit und Gebirgsdruck erreicht und das Hangende zur Beruhigung gekommen, ohne daß der Stempel seine Tragfähigkeit eingebüßt hat. Dieser nachgiebige Ausbau wird sowohl im Abbau als auch zur Verzimmerung der Abbaustrecken und zum vorläufigen Ausbau solcher Strecken angewendet, die dauernd offen gehalten werden müssen. Er hat einerseits erhebliche Ersparnisse an Holzkosten und Arbeitslöhnen im Gefolge, da ein Knicken der Stempel nicht eintritt und diese deshalb nicht ausgewechselt zu werden brauchen, und da zudem das Zurechtschneiden und Zuspitzen der Stempel über Tage billig durch Maschinenkraft erfolgen kann; anderseits hat er die vortreffliche Wirkung, daß das Hangende nicht am Kohlenstoße abbricht, sondern sich gleichmäßig auf diesen senkt und dadurch einen die Kohlengewinnung und den Stückkohlenfall erheblich fördernden Druck auf den Kohlenstoß ausübt und zudem den Stein- und Kohlenfall abschwächt, dessen Gefährlichkeit meist sehr unterschätzt wird. Entgegen weitverbreiteten Anschauungen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/74&oldid=- (Version vom 31.7.2018)