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so wundersam einheitlich, weil kerndeutsch: der Sohn des Harzgebirges mit den gewundenen Tälern und Schluchten und Bergwerkkammern, der Schilderer alter Straßen mit ihren krummen Gassen, spiegelt sich auch in der Art wider, wie er seine Geschichten anlegt; da gibt es allerlei Irr- und Abwege, unübersichtlich und kraus; der Stil ist schnörklig wie seine Handschrift, der Rhythmus wird zerhackt. Alles Glatte, Gradlinige, nun gar weichliches Ästhetentum mit Gemache und Getue war ihm, wie dem bärbeißigen Meister Gottfried, ein Greuel. Kommt er aber in Fluß, so rauscht es in vollen Akkorden. Er war spröde, zurückhaltend, verschwiegen und verschämt in seiner Innerlichkeit, bis in die Knochen norddeutsch – und doch wie vieles hat er mit dem knorrigen und knurrigen Schweizer gemeinsam! Alle Schlagwörter waren ihm verhaßt, und als wieder einmal ein neues aufgekommen war, das „Heimatkunst“ forderte, da rief er aus (noch in der letzten Zeit seiner Tage), „Ich will kein ‚Heimatdichter‘, sondern ein deutscher Dichter sein!“ – „Im engsten Ringe, im stillsten Herzen weltweite Dinge“: das kann man über sein Schaffen setzen, oder das Motto zu den „Alten Nestern“ oder deren köstlichen Anfang: „Eine Blume, die sich erschließt, macht keinen Lärm dabei. Auf leisen Sohlen wandeln die Schönheit, das wahre Glück und das echte Heldentum. Unbemerkt kommt alles, was Dauer haben wird in dieser wechselnden, lärmvollen Welt voll falschen Heldentums, falschen Glückes und unechter Schönheit!“ –

Wandlungen des Humors bei Raabe.

Es lag in der Zeit und in seinen Lebenserfahrungen begründet, daß Raabes Humor Wandlungen durchgemacht hat. Er mußte durch Schopenhauers Pessimismus hindurchgehen, und da zeigt seine Tragik etwas gallig Verbissenes, und etwas von bitterem Lächeln gleitet immer wieder über seine Züge. Ein Klang von Resignation über die Vergänglichkeit und Nichtigkeit des Erdendaseins schwingt bis zu „Altershausen“ (1911) mit. Der Weltschmerz und die Weltfreude sind eben Geschwister, Kinder der Gemütsinnigkeit, die alles mit verstehender Liebe umfaßt: die Weltläufe wie die sonderbaren Käuze und Narren, die um den Platz an der Sonne Betrogenen, die darob aber nicht verzagen, sondern ein stilles Heldentum voll Lebensweisheit und Lebensfernheit führen. – „Tiefer ist unserer Freude Born, tiefer als das Leiden“, sagt der sonnige, in Sinnenfreude vollblühende Keller. Raabe betont mehr das Leiden, weist aber den Sieg auf, den ein starkes Gemüt darüber gewinnt, denn es birgt unsichtbaren Reichtum, das Traumland der Phantasie, und die aufopfernde Hingabe als unversiegbare Glücksquelle in sich. So gehen lächelnd in hartem Kampfe, durch alle Nöte und Wirrsale, diese Lebenshelden frei hindurch, still überlegen – wahrlich eine andere Art als die sich auslebenden, d. h. vielfach an das Gemeine sich ausgebenden „Herrenmenschen“ modernen Wesens.

Fontanes Humor hat eine Beimischung von Skepsis und Ironie und Berliner „Wurschtigkeit“ an sich, ist also mit dem Wasser des Verstandes getauft. Stürmisch hoben die Jungen den Alten auf den Schild, und er zeigte ihnen, wie man Irrungen und Wirrungen, Halbwelt und scheiterndes Eheleben darstellen könnte, ohne ins Gemeine abzugleiten, wie man Berlin W. mit Humor erfasse („Frau Jenny Treibel“) und wie das Leben. Was vom alten Schloßherrn von Stechlin gesagt wird, das gilt von Raabe,

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/416&oldid=- (Version vom 11.5.2019)