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Beliebtheit der verschiedenartigsten körperlichen Übungen anzuschlagen. Es wurde dadurch dem Künstler Gelegenheit gegeben, den fast oder ganz unbekleideten Körper in einer Fülle von Bewegungsmotiven auf dem Wasser und auf der Erde, im Wasser und in der Luft zu studieren, wie nie zuvor in Deutschland. Auf der anderen Seite wurde das Auge der Masse der Laien unwillkürlich für plastische Werte erzogen. Diese ganz unmittelbare Zurückerziehung des Großstädters zur Natur kommt der bildenden Kunst als „Nachfrage“ zugute, denn ihr verdanken wir das stetig größer werdende Verlangen nach Nacktfiguren, die nicht durch literarische Anregung, sondern einzig von künstlerischer Formvorstellung ins Dasein gerufen worden sind. Diese stilistisch-tektonische Richtung in der Plastik fördert weiterhin Aufgaben, welche die Plastik in eine freiere oder engere Beziehung zu architektonischen Formgedanken setzten. Ganz vornehmlich gewann die Denkmalplastik. Sie erreichte dadurch den Grad geschlossener Monumentalwirkung, die in früheren Jahren so oft vergeblich erstrebt war.

Es muß sogar in den Fällen, in denen Bedenken über die Qualität der Kunstwerke geäußert sind, zugegeben werden, daß die Verbindung von plastischen und baukünstlerischen Werten die bildhauerischen Arbeiten jedenfalls aus der gefährlichen Isolierung, in der sie sich vor wenigen Jahren durchschnittlich befanden, errettet haben.

Das Relief.

Ich möchte neben der Denkmalkunst in diesem Zusammenhange noch die steinernen Brückenbauten, die Brunnenanlagen und die Friedhofkunst erwähnen, da sie vornehmlich auf die Behandlung des Reliefs sehr erzieherisch einwirken. Solche Aufgaben zwingen besonders den Reliefbildner – ähnlich wie bei der neuzeitlichen Plaketten- bzw. Medaillenplastik – sich mit der architektonischen Form und mit dem eng umgrenzten Raum so abzufinden, daß die Komposition als selbstverständlich, die Formgebung als in sich harmonisch erscheint. Das Relief bildet gleichermaßen Künstler wie Laien, denn es vereint Gesichts- und Bewegungsvorstellungen; es zwingt den Künstler, alle Einzelformen übersichtlich, also nicht „malerisch“, anzuordnen, den Beschauer, die Formen abzulesen und mit dem Auge abzutasten. Das Relief erzählt, wendet sich also bewußt an den Intellekt und als Formwert zugleich an das plastische Verständnis des Betrachters. Das Relief kommt weiterhin der besonderen Freude des Deutschen an der Erzählung, am Bilderreichtum entgegen. Das starke Wiederaufblühen der stilistisch vorzüglich behandelten Flachkunst, vornehmlich in Süddeutschland, erweist diese enge Verbindung von Kunst und Leben. Diese gute Wirkung ist natürlich einzig bei verständnisvoller Verbindung von Plastik und Architektur zu erreichen. Es geschieht dies in der Tat zurzeit wieder mit vollem Bewußtsein der künstlerischen Zusammenhänge. Das Relief ist, wie bemerkt, vornehmlich als geeignet befunden, große Flächen zu beleben, aber auch die Rundplastik wird immer mehr von der Baukunst in ihren Dienst gezogen. Die Architektur verlangt heute vorwiegend eine Plastik, welche auf in sich geschlossene Wirkung, auf vereinfachte wuchtige Formen und eine offen zutage liegende ruhige Gesetzmäßigkeit in der Formenbehandlung und Flächenverteilung ausgeht. Jeder Impressionismus im übleren Wortsinne soll abgestreift werden, ohne die Energie der unmittelbaren Lebensbetätigung zu beseitigen. Diese Tendenz, architektonische und plastische Formwerte zu verbinden, birgt auf der andern Seite zweifelsohne Gefahren in sich, so daß Übertreibungen in der vereinfachten

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/463&oldid=- (Version vom 28.9.2022)