Friedrich Blass (Übersetzer): Die Sibyllinen | |
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noch dazu unvollständig erhalten. In den Titeln werden 15 Bücher geschieden, von denen bis in dieses Jahrhundert hinein nur die acht ersten vorlagen; erst A. Mai hat 1817 und 1828 nach einer Mailänder und zwei vatikanischen Hdschr. zunächst B. XIV, dann XI-XIV herausgegeben, so daß drei Bücher immer noch fehlen. Aufschlüsse über das allmähliche Anwachsen der Sammlung geben die Benutzungen bei den Kirchenvätern, am Meisten die bei Lactantius. Dieser sagt auch ausdrücklich (div. inst. 1, 6,13): „Von den einzelnen Sibyllen (deren er aus Varro zehn kennt), mit Ausnahme der Cumäerin, deren Bücher von den Römern geheim gehalten werden, hat man je ein Buch; da aber diese Bücher [alle nur] den Namen der Sibylle tragen, so meint man, daß sie von einer stammten, und sie sind zusammengeworfen und können auch nicht geschieden werden, so daß jeder einzelnen ihr Eigentum zugewiesen würde, ausgenommen bei der Erythräerin; denn diese hat ihren wahren Namen ihrem Gedicht eingefügt und vorher verkündigt, sie werde Erythräerin genannt werden, während sie in Wahrheit aus Babylon stamme.“ Das ist die vorhin erwähnte Stelle am Schlusse des dritten Buchs, wo nur der Name (jedenfalls Sambēthe) jetzt in einer Lücke von zwei Versen fehlt. Lactantius scheint also neun oder, da er die Erythräerin mit der Chaldäerin identifiziert, acht Bücher Sibyllinen gehabt zu haben. Aber man darf diese nicht ohne Weiteres unter den vorhandenen suchen wollen, noch meinen, daß die Einteilung in Bücher und der Umfang der einzelnen gerade so wie jetzt gewesen seien. Im Gegenteil, da Lactantius mit einer gewissen philologischen Genauigkeit, der man ein besseres Objekt wünschen könnte, Sorge trägt, bei diesem Buche der Erythräerin dieselbe regelmäßig als solche zu bezeichnen, so ersehen wir, daß darin zwar die Stelle über den Turmbau und was sich daran anschloß (noch V. 228 f.), und ebenso die letzten etwa 200 Verse mit Ausnahme des Schlusses enthalten waren, daß dagegen die mittleren Teile fehlten; aus diesen werden nämlich zwei Stellen (V. 545 ff. und 652 ff.) ohne den Zusatz Erythräa citiert und keine mit demselben. Dagegen haben den Zusatz Stellen, die in unseren Sibyllinen fehlen, bei Theophilus aber ausführlich mitgeteilt sind (s. unten Proeomium), und bei einer derselben (V. 5 f.) bemerkt Lactantius, daß sie den Anfang bilde. Somit mag das Buch damals 400-500 Verse gehabt haben und nicht, wie jetzt, die übergroße Zahl von mehr als 800. Lactantius’ Citate aus „anderen Sibyllen“ erstrecken sich über die Bücher IV-VIII unserer Sammlung; einige Citate finden sich überhaupt nicht wieder, so daß es auch hiernach vollkommen möglich ist, daß er im Ganzen acht Bücher gehabt hat. Der Bestand bei den älteren Kirchenvätern, wie bei Clemens Alexandrinus, erscheint im Allgemeinen geringer, indem namentlich bei Clemens VI. VII. VIII ausfallen. Eine Redaktionsthätigkeit sodann, die im Sammeln und im Scheiden bestand, legt sich ein ungenannter Byzantiner bei, von dem der in unseren Hdschr. überlieferte Prolog zu den Sibyllinen stammt; nach Alexandre (s. u.) lebte dieser Redaktor im 6. Jahrhundert, und er wird ja wohl das zusammengestellt haben, was unserer Sammlung zu Grunde liegt, ganz oder zum Teil. Doch fehlt viel daran, daß unsere Hdschr. selbst einen übereinstimmenden und festen Bestand gäben. Es sind von ihnen drei Klassen zu unterscheiden, von denen die beiden ersten nicht weiter als bis VIII reichen; dieses VIII. Buch aber steht in der einen am Ende, in der anderen an der Spitze. Die dritte Klasse ist die, aus der A. Mai die späteren Bücher herausgegeben hat; außerdem geben diese Handschriften Buch IV, unter der Bezeichnung X, VI als IX und den Anfang von VIII als den von XV. Endlich ist zu erwähnen, daß die Überschriften der Bücher mehrfach das Gegebene als Excerpt bezeichnen; nicht πρῶτος λόγος, sondern zu ἐκ τοῦ πρώτου λόγου.
Es ist also hier alles voll Konfusion, und man wundert sich schließlich, daß sich doch mit Ausnahme des Prooemiums von III und weniger anderer Stellen das, was die Kirchenväter aus ihren Sibyllinen citieren, in den unsrigen immer noch vorfindet. Im Großen und Ganzen also sind die heidnischen Zeugnisse für Christus und Moses, auf welche sich die Kirchenväter, in gutem Glauben zwar, aber in großer Einfalt, so gern berufen, von der Kirche behütet
Friedrich Blass (Übersetzer): Die Sibyllinen. Tübingen: Mohr Siebeck, 1900, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DieSibyllinenGermanBlassKautzsch2.djvu/05&oldid=- (Version vom 31.7.2018)