Anonym: Edda | |
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„Ich habe von herberm Harm zu sagen:
Sieben Söhne sind im südlichen Land
Und mein Mann der achte mir erschlagen.
Haben Wind und Wellen gespielt:
Die Brandung zerbrach die Borddielen.
Die Holzhürde selber zur Helfahrt schlichten.
Das Alles litt ich in Einem Halbjahr,
Und Niemand tröstete in der Trauer mich.
Noch vor dem Schluß desselben Halbjahrs.
Da besorgt ich den Schmuck und die Schuhe band ich
Alle Morgen der Gemahlin des Hersen.
Wozu sie mit harten Hieben mich schlug.
Niemals fand ich so freundlichen Herrn,
Aber auch nirgend so neidische Herrin.“
So trug sie Trauer um den Tod des Gemahls,
So füllte sie Grimm um des Fürsten Mord.
„Wenig weist du, Pflegerin, ob weise sonst,
Das Herz einer jungen Frau zu erheitern.
Weshalb verhüllt ihr des Helden Leiche?“
Und wandte ihm die Wange zu des Weibes Schooß.
„Nun schau den Geliebten, füge den Mund zur Lippe
Und umhals ihn wie einst den heilen König.“
Sah des Helden Haar erharscht vom Blute,
Die leuchtenden Augen erloschen dem Fürsten,
Vom Schwert durchbohrt die Brust des Königs.
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/212&oldid=- (Version vom 31.7.2018)