Anonym: Edda | |
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Überraschend bleibt immer, daß griechischer und deutscher Glaube darin übereinstimmen, einen Unterschied göttlicher und menschlicher Sprache anzunehmen, wovon bei keinem andern Volke ein Beispiel nachzuweisen ist.
Wenn es aber einem glaubensvollen Volke natürlich scheint, von mehrern der Sprache zu Gebote stehenden Namen der Dinge den ältesten und würdigsten den Göttern beizulegen, so hat die Annahme einer besondern Sprache für jede Classe mythischer Wesen schon etwas Gezwungenes, das wir nur der Willkür des Dichters, nicht mehr dem einfachen Volksglauben zuschreiben mögen. Was dazu verleiten konnte, ist die Annahme der neun Himmelswelten, in welchen der Zwerg Str. 9 wie Wafthrudnir[WS 1] Str. 43 bewandert zu sein vorgiebt. Bei der Durchführung im Einzelnen muste aber der Dichter zu Nothbehelfen wie die schon gerügten greifen; und doch konnte er schon des zu kurzen Maßes wegen nicht alle neun Welten zugleich berücksichtigen, und auch für diejenigen, welche darin Raum fanden, reichen theils die vorhandenen Synonymen nicht immer aus, theils konnte es bei der Vertheilung an dieselben nicht ohne Willkür zugehen. Aus gleichem Grunde muß auch der Übersetzer bei diesem Liede noch mehr als bei allen andern die Nachsicht des Lesers in Anspruch nehmen. Die Schwierigkeit, die mannigfaltigen Ausdrücke für einen und denselben Gegenstand innerhalb der Schranken der Alliteration passend wiederzugeben, hat schon Köppen S. 61 anerkannt.
Es folgen noch einige Bemerkungen zu einzelnen Strophen:
3. heißt Thor der Wagenlenker wegen seines Bockgespanns. „Zwar haben auch andere Götter,“ bemerkt Gr. Myth. 151, „ihren Wagen, namentlich Odhin und Freyr; allein Thor ist im eigentlichen Sinn der fahrend gedachte: niemals kommt er gleich Odhin reitend vor, noch wird ihm ein Pferd beigelegt, er fährt entweder oder geht zu Fuß.“
5. Alwis stellt sich als wiße er nicht mit Wem er spricht, ja er bezweifelt ausdrücklich, daß es Thor der Gott der Donnerkeile sei, und so sieht sich dieser in der folgenden Zeile genöthigt, sich zu nennen. Der Dichter, der nicht wie wir Neuere für Lesende schrieb, sondern eine dramatische Darstellung im Auge hatte, muste es hier wie in Wafthrudnismal und Fiölswinnsmal herbeizuführen suchen, daß der Zuschauer die auftretenden Personen kennen lernte. Haben wir auch keine äußern Zeugnisse für die Aufführung unserer dialogisierten Lieder, so zeugt ihre innere Form, man betrachte z. B. Ögisdrecka, desto stärker dafür.
6. Die eigentliche Bedeutung des Namens Wingthor, den der Gott in diesem Liede ausschließlich, wie schon neben andern in dem vorigen,
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: „Waftrhudnir“
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/409&oldid=- (Version vom 18.8.2016)