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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

unter den deutschen Gelehrten hat es zu allen Zeiten Männer gegeben, welche mit dem größten wissenschaftlichen Eifer die innigste Liebe zu ihrem gemeinschaftlichen Vaterlande verbanden, durch ihre patriotische Gesinnung wie helle Sterne voranleuchtend, und zwar in der dunkelsten Nacht fremder Tyrannei und Willkürherrschaft. Ein solcher Mann war der berühmte Philosoph Johann Gottlieb Fichte, nicht nur einer der größten Denker, sondern ein echter, wahrer Freiheitsheld voll Muth, wo es galt, eine geistige Meinung zu verfechten, voll Kühnheit, wo es sich darum handelte, das Joch des fremden Unterdrückers abzuschütteln, noch dazu in einer Zeit und unter Verhältnissen, welche selbst die Muthigsten verzagen ließ und die Tapfersten mit Furcht erfüllten. Seine „Reden an die deutsche Nation“ waren in jenen Tagen eine kühne That, eine Herausforderung der für unbesiegbar gehaltenen Macht Napoleons, welcher um Geringeres den Buchhändler Palm erschießen und die besten Männer im Kerker schmachten ließ. Es war im Monat December des Jahres 1807, kaum ein Jahr nach der verhängnißvollen Schlacht von Jena; französische Truppen lagen in Berlin und General Davoust herrschte daselbst als unumschränkter Gebieter; die Einwohner beugten sich unter der ehernen Hand des Eroberers, die meisten huldigten seiner Macht und befreundeten sich bald nach Philisterart mit ihren Unterdrückern; nur Wenige empfanden die Schmach des Vaterlandes in ihrer ganzen Stärke; sie mußten schweigen, umringt von den französischen Bayonetten, von Verräthern, Abtrünnigen, fremden und, zur Schande sei es gesagt, auch einheimischen Spionen. Der König von Preußen und sein Hof war an die äußersten Grenzen der Monarchie nach Königsberg geflüchtet; dort fand er im Unglücke, was ihm früher gefehlt hatte, Männer statt Höflinge, schöpferische Talente statt der alten Zöpfe, große und wahre Charaktere statt pfiffiger Intriguanten und gewissenloser Diplomaten, welche früher seine Umgebung größtentheils bildeten. Der gewaltige Minister Stein schuf unter Trümmern und Zerstörung ein neues Preußen durch die Kraft seines Willens, durch die unerschöpflichen Hülfsquellen und die unermüdliche Thätigkeit seines Geistes. Wie ein Zauberer goß er in den erstorbenen Körper des abgelebten Staates neues Blut und frische Säfte durch seine kühnen Reformen und wohlthätigen Maßregeln. Schlag auf Schlag folgte die Aufhebung der Erbunterthänigkeit und damit die Schöpfung eines freien Bauernstandes; die Städteordnung, welche den Bürger zur Theilnahme an allen öffentlichen Verhandlungen anregte und ihm erst seine politische Selbstständigkeit wiedergab, die er seit dem dreißigjährigen Kriege verloren hatte; die Abschaffung der Adelsprivilegien, welche überall hemmend und störend einer freieren und einheitlichen Kraftentfaltung entgegentraten, den Erwerb beschränkten, den Ertrag des Bodens verringerten und den Nationalwohlstand so wie die Staatseinkünfte bedeutend schmälerten.

Wie Stein im Civilfache, so arbeitete Scharnhorst an einer vollständigen Reorganisation des Heerwesens; aus seinem Kopfe entsprang gleich der gerüsteten Minerva die Idee der allgemeinen Volksbewaffnung, welche aus Söldnern Vaterlandsvertheidiger schuf. Es war eine schöne Zeit, wo diese Männer im Verein mit dem trefflichen Schön, Niebuhr, Stägemann, Nikolovius etc. das große Werk der Ausbildung Preußens unter den schwierigsten Umstanden vornahmen und, von der innigsten Liebe zu ihrem Vaterlande beseelt, unter Hindernissen aller Art den Grund zu seiner Erhebung und dadurch zur Befreiung Deutschlands selber legten. So wurde Königsberg der eigentliche Heerd, auf dem die heilige Flamme der patriotischen Begeisterung im Stillen loderte, wo geräuschlos die Waffen für den künftigen Kampf geschmiedet wurden, während die Hauptstadt Berlin sich unter die Herrschaft der Franzosen schmiegte und kaum ein Lebenszeichen von sich zu geben wagte. In Königsberg hatte sich auch Fichte längere Zeit aufgehalten und dort Umgang mit den bedeutendsten Männern gepflogen, mit denen ihn seine echt deutsche Gesinnung, seine Liebe zur Freiheit, sein Haß gegen jede Tyrannei verband. Er war zu den Stiftern des Tugendbundes in nähere Beziehung getreten und brachte die erste Nachricht nach Berlin von jenem später so einflußreichen Verein, der sich bald über ganz Deutschlands erstreckte und den Samen der nachfolgenden Ereignisse ausstreuen half. Voll von diesen Eindrücken kündigte er unter den Augen der französischen Behörden seine „Reden an die deutsche Nation“ an. Eine Versammlung von ungefähr hundertundfünfzig Personen, welche allen Ständen angehörten, hatten sich in dem Saale der Akademie eingefunden. Neben dem blonden Jüngling saß der alte Gelehrte oder ein Staatsbeamter mit weißen Haaren, Officiere und Philologen, Männer der That und des Gedankens waren hier versammelt, um den Worten des berühmten Lehrers zu lauschen, selbst an Damen fehlte es nicht, welche sich weder von der Strenge des Gegenstandes, noch von dem philosophischen Inhalte abschrecken ließen. Man bemerkte den gelehrten Bernhardi, den geistreichen Dichter Ludwig Robert, den Componisten Zelter, Goethe’s Freunde, dort. Die Frau mit den scharfen und doch so feinen Zügen, deren dunkel feuriges Auge eine tiefe Seele, einen hohen Geist verrieth, war die später berühmt gewordene Rahel, die nachmalige Gattin Varnhagen van Ense’s, der ebenfalls als Zuhörer zugegen war. Alle Anwesenden erwarteten mit Spannung den angekündigten Vortrag, um daraus Trost und Erhebung in einer trostlosen Zeit zu schöpfen. Jetzt erschien der Redner, eine mittelgroße gedrungene Gestalt mit scharfen Zügen, gebogener Nase und klaren, blauen Augen, aus denen hell die Redlichkeit seines Charakters und die Festigkeit des Willens leuchtete. Mit wohltönender Stimme begann er seine Rede; „er sprach,“ wie ein Zeitgenosse und Zuhörer von ihm erzählt, „mit kräftiger Begeisterung dem gebeugten und irre gewordenen Vaterlandssinne Muth und Vertrauen zu, schilderte ihm die Größe der Vorzüge, die sich der Deutsche durch Unachtsamkeit und Entartung hatte rauben lassen, die er aber gleichwohl jeden Augenblick als sein unveräußerliches Eigenthum wieder ergreifen könne, ja solle und müsse, und wies dafür als das wahre, einzige und unfehlbare Hülfsmittel eine von Grund aus neu zu gestaltende und folgerecht durchzuführende Volkserziehung an. Sein strenger Geist ging auf vollständige Umschaffung unserer Zustände aus, wobei er nichts weiter verlangte, als daß überall das Wesentliche im Sittlichen wie im Geistigen gefördert und ausgebildet, das Scheinsame und Hohle dagegen aufgegeben und seinem eigenen Absterben überlassen würde, dann, meinte er, werde sich ohne gewaltsame Umkehr, durch die bloße Entwickelung aus dem Vorhandenen und Bestehenden die ganze Kraft und Herrlichkeit, deren die Nation seufzend entbehre, bemerklich und unveränderlich von selbst hervorbilden.“

Zum Schlusse dieser Vorträge wandte sich Fichte an die Jugend, wie an das Alter, an die verschiedenen Stände, an den Gelehrten wie an den Geschäftsmann, an die deutschen Fürsten und an das Volk beschwörend und ermahnend, sich von Selbstsucht zu befreien und Alles daran zu setzen für die Rettung des Vaterlandes. Den Fürsten rief er zu: „Diejenigen, die Euch gegenüber so thun, als ob man Euch gar nichts sagen dürfte oder zu sagen hätte, sind verächtliche Schmeichler, sie sind arge Verleumder Eurer selbst; weiset sie weit weg von Euch. Die Wahrheit ist, daß Ihr ebenso unwissend geboren werdet, als wir andern alle, und daß Ihr hören müsset und lernen, gleichwie auch wir, wenn Ihr herauskommen sollt aus dieser natürlichen Unwissenheit. Jetzt beginnt, so wie für uns alle, also auch für Euch ein neues Leben. Möchte doch diese Stimme durch alle die Umgebungen hindurch, die Euch unzugänglich zu machen pflegen, bis zu Euch dringen! Mit stolzem Selbstgefühl darf sie Euch sagen: Ihr beherrscht Völker, treu, bildsam, des Glückes würdig, wie keiner Zeit und keiner Nation Fürsten sie beherrscht haben. Sie haben Sinn für die Freiheit und sind derselben fähig; aber sie sind Euch gefolgt in den blutigen Krieg gegen das, was ihnen Freiheit schien, weil Ihr es so wolltet. Sie dulden und tragen seitdem die drückende Last gemeinsamer Uebel; und sie hören nicht auf, Euch treu zu sein, mit inniger Ergebung an Euch zu hangen und Euch zu lieben, als ihre ihnen von Gott verliehene Vormünder. Möchtet Ihr sie doch, unbemerkt von ihnen, beobachten können; möchtet Ihr doch, frei von den Umgebungen, die nicht immer die schönste Seite der Menschheit Euch darbieten, herabsteigen können in die Häuser des Bürgers, in die Hütten des Landmannes und dem stillen und verborgenen Leben dieser Stände, zu denen die in den höheren Ständen seltener gewordene Treue und Biederkeit ihre Zuflucht genommen zu haben scheint, betrachtend folgen können; gewiß, o gewiß würde Euch der Entschluß ergreifen, ernstlicher als jemals nachzudenken, wie ihnen geholfen werden könne. Die Ueberzeugung aber, daß etwas geschehen müsse, und daß die Zeit der halben Maßregeln und der Hinhaltungsmittel vorüber sei: diese Ueberzeugung möchten diese Reden gern, wenn sie könnten, bei Euch selbst hervorbringen, indem sie zu Eurem Biedersinne noch das meiste Vertrauen hegen.“

Wie die Fürsten, so ermahnt er auch das deutsche Volk folgendermaßen:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_370.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)