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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Leibnitz, der, von dem kleinen Hofe zu Hannover sich abwendend, Trost, Erheiterung, Anerkennung bei der geistvollen Königin Charlotte fand. Demnach wäre der Berliner Boden keine Lüneburger Haide für das Talent, für das Genie. Freilich gibt’s aber Leute, die die Gemüthlichkeit und sanfte Einfachheit der Lüneburger Haide nach Berlin versetzen möchten. Für derlei Beginnen ist nun freilich kein günstiger Erfolg zu hoffen.“

Die Männer sahen sich an und Einige wandten sich mit Lächeln ab, Andere suchten dem beginnenden Streite dadurch vorzubeugen, daß sie mit vermittelnden Bemerkungen auftraten. Der Präsident ergriff das Richtige, indem er ausrief:

„Iffland ist der Unsere; wir haben ihn in unsere Mitte aufgenommen und lassen ihn nicht. Er soll uns lieben und schätzen lernen, so weit wollen wir’s noch bringen.“

Die Umstehenden drückten ihm die Hand und schnell besänftigt enteilte der berühmte Gast. Das einmal angeregte Gespräch wurde jedoch noch lebhaft fortgesetzt.

„Ich kann es nicht leiden,“ rief der Journalist und Kritiker, denn das war der Ernsthafte, „dieses ewige Schelten auf unsern kalten Verstand, unsern alles Schöne tödtenden Witz, unser Raisonnement. Es soll Einer nur unsterblich sein und wir werden ihn nicht zum Sterben bringen. Da kommen sie aber herüber zu uns, diese Gefühlsseligen, diese weichen Kindergemüther mit halber Kunst und ganzer Anmaßung, diese lyrischen Talente mit dem Lutschbeutel im Munde – Alles das will groß und einzig und völlig makellos sein und schreit Zeter, wenn wir nicht sogleich ihm entgegenlaufen.“

„Iffland brachte bereits einen wohlbegründeten Ruf mit,“ bemerkte der Präsident.

„Er brachte ihn mit,“ entgegnete der Journalist, „richtig; allein was hat er gethan, diesen Ruf auch bei uns zu begründen? Ist er weiter gestiegen in der Kunst, oder ist er stehen geblieben? Unbedingt das Letztere. Nennen Sie mir, meine Herren, eine einzige Rolle, die neu hinzugekommen ist zu seinem Repertoir. Und soll ich von seinen Verdiensten als Dichter sprechen? Kein einziges Stück, das er geschaffen, denn man kann kaum sagen, gedichtet, steht als Kunstwerk da; alle tragen den Stempel des Dilettantismus an sich, und was man allein an ihnen loben kann, ist die Kunst, bühnengerecht sich zu geben. Nehmen wir nur gleich das erste beste seiner Stücke, ja in der That das beste, wie das allgemeine Urtheil sagt: die Jäger, wo ist da in dem ganzen Stücke ein vernünftiger Plan zu sehen? Ich wenigstens sehe keinen. Die Motive wechseln wie die Kartenblätter. Ist, Anton die Hauptrolle? Nein. Ist’s der Doctor? Auch nicht. Das Stück zerfällt in drei Stücke. Zuerst Anton’s Liebe zu Friederiken. Dieses Stück endigt mit dem dritten Acte, denn nachdem die schwächliche Gegenwehr der Mutter, die zur Sprache gebrachte Glaubensverschiedenheit beider Liebenden rasch niedergetreten ist, steht der Vereinigung nichts im Wege. Das Mittelstück füllt der Streit der beiden Alten aus, und das dritte Stück bringt Antons Anklage und Freisprechung. Wenn wir’s genau nehmen, so ist an der ganzen Verhandlung nur der Streit der beiden Alten, des Oberförsters und des Amtmanns, von Wichtigkeit, denn diese Scene ist mit eben so großer Feinheit als Menschenkenntniß geschrieben; sie zeigt aufs Lebendigste die Sitten und die Denkungsart jener Classe von Menschen, um die es sich hier handelt, obgleich auch hier eine höhere Idee als Träger des Ganzen fehlt, und hinter des Amtmanns Ehrlichkeit keine tiefere Anschauung des Staates und der Bürgerpflichten sich versteckt. Da müßte aber unser Dichter mehr das Leben im weiteren Sinne, mit einem Worte mehr Politik eines großen Staates und das Treiben wichtiger Interessen im Volksverbande studirt haben.“

„Mit einem Worte,“ sagte der Präsident lachend, „er müßte neben dem Sophokles auch ein Solon und Perikles sein.“

„Die Charaktere in dem Schauspiel „die Jäger“ sind doch trefflich gezeichnet,“ nahm einer der Gäste das Wort. „Man sieht diese guten Leutchen vor sich. Die plaudernde alte Mutter, das herzige liebe Riekchen, das boshafte und verliebte Kordelchen, und vor allen Dingen der herrliche Ehrenmann, der Oberförster, das sind Kernnaturen.“

„Das sind sie,“ sagte der Recensent. „Auch sein „Spieler“ ist eine aus dem Leben mit großer Treue und drastischer Wirkung hervorgenommene Figur. Mag sich an diesen Gebilden erfreuen, wer da will, nur gehe man nicht zu weit, und gebe muthwillig Lorbeerkronen hin, die für andere Köpfe bestimmt sind. Wir haben einen Goethe, einen Schiller, einen Lessing – das ist Alles, was ich sagen wollte.“

Die kleine Gesellschaft setzte sich um die Abendtafel.




IV.

Der Tag des Benefizes nahte heran. In Iffland’s Wohnung, in einem freundlichen großen Salon, durch dessen Fenster die warme Frühlingsnachmittagssonne schien, standen zwei Lehnsessel zur Seite der Wand, sie bildeten die Sitze für das Publicum, und dieses bestand hier nur aus zwei Personen, aus Iffland und seiner Freundin Laura. Die junge Sophie Seelfeld, die Iffland für das Theater gewonnen hatte, eine reizende Erscheinung voll Jugend und Unschuld, war bereit, die Rolle der Friederike nochmals mit dem Meister durchzugehen, und sie und der Schauspieler, der den Anton machte, stellten sich in dem freien Raume auf vor den Stühlen. Der fünfte Auftritt im zweiten Acte, das erste Zusammentreffen Anton’s mit Friederiken in Gegenwart von Kordelchen war beendet, da wurde der junge Schauspieler, der den Anton gab, abgerufen wegen eines dringenden Geschäfts, das seiner zu Hause wartete. Iffland erlaubte ihm zu gehen, zugleich wandte er sich mit einiger Verlegenheit zu Laura, und diese, seine Miene richtig deutend, rief:

„Was machen wir nun? Wie soll unsere junge Freundin ohne Liebhaber eine Liebesscene spielen? Wenn wir auch Alles möglich machen, das machen wir doch nicht möglich.“

Iffland erwiderte lächelnd:

„Mein Kind, der muß ein schlechter Theaterdirector sein, der nicht stets eine Doublette bei der Hand hätte. So hab’ ich denn auch für diesen möglichen Fall für einen Liebhabersubstitut gesorgt. Soll er hervortreten?“

„Wer ist’s?“ fragten beide Damen neugierig.

„Ein ziemlich taugliches Subject,“ erwiderte Iffland einsylbig und trocken.

„Um’s Himmelswillen, theuerster Director, doch nicht Ihr Famulus, der Ihnen die Rollen abschreibt, der schielende kleine Rötling?“ rief Sophie, und klammerte sich an den Arm ihres Gönners, „unmöglich könnte ich mich entschließen, dem in die Arme zu fallen.“

„Eine Schauspielerin, mein Kind, muß Alles können,“ bemerkte der Meister ernst, „sie muß von keinem persönlichen Widerwillen sich leiten lassen. Für die zwei Stunden, die sie vor den Lampen steht, muß sie selbst ihrem Todfeinde glühende Liebe heucheln.“

„Ach!“ rief Sophie und lehnte, das Haupt verbergend, an die Schulter Laura’s, die ihr schmeichelnd und tröstend die dunkeln Locken von der Stirne strich.

„Nun, so lassen Sie ihn denn kommen, den Furchtbaren, den Entsetzlichen!“ stöhnte das Mädchen.

Iffland ging rasch zur Thüre und, sie öffnend, ließ er einen bildschönen, schlanken Jüngling von achtzehn Jahren, in die enge Uniform des Gardeschützenbataillons gekleidet, eintreten. Sophie fuhr freudig in die Höhe.

„Anton!“ rief sie – „Sie – Du – hier?!“

„Dies ist ein Substitut!“ rief Iffland triumphirend. „Hab’ ich’s nun gemacht? Wird Fräulein Friederike sich nun noch weigern, ihre Rolle mit all der nöthigen Kunst und Begeisterung zu spielen? Und Du, Freund Anton, hast Du, wie ich’s Dir angerathen, in Deiner Kaserne fleißig memorirt?“

„O, Herr Director,“ stotterte der junge Mann, indem eine helle Röthe seine Wangen färbte, „was das betrifft, die Worte, die ich zu sprechen habe – gehen mir aus der Seele.“

„Nun, so spielt, und wir – Laura – wir wollen das Götterschauspiel der Liebe mit anschauen, wollen die Flammen dieser jungen, unentweihten jungen Herzen gegeneinander auflodern sehen und dabei – unserer eigenen Jugend gedenken.“

„Still, Schwätzer,“ sagte die junge Frau leise, und machte eine abwehrende Bewegung mit dem Tuche. Iffland sah sie unendlich schalkhaft und gutmüthig lächelnd von der Seite an, indem er den Finger drohend emporhob.

Die Scene ging nicht ganz nach Wunsch; Anton wollte immer noch mehr sagen, als er zu sagen hatte, und Friederike vergaß mehr als einmal das Stichwort, indem sie auf seine improvisirten Zusätze lauschte. Was Anton jedoch nie vergaß, war, den Arm um Friederikens schlanke Taille zu legen, um sie mit inniger Gewalt an sich zu ziehen. Diesen Gestus machte er meisterhaft. Zuletzt ging auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_219.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)