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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

der so wohlbekannte ganz öffentliche Beschützer der Nymphen des Cursaales, daß seine eigenen Unterthanen sich laut mißbilligend darüber äußerten und die zufällig anwesenden anständigen Damen seines Landes es vermieden, von ihm bemerkt und in seine Gesellschaft gezogen zu werden. Der Sohn und Erbe folgt ganz den väterlichen Fußstapfen, man konnte ihn fast allabendlich in der gemischtesten Gesellschaft im Speisesaale des Curhauses soupiren sehen; zu seinen Gefährtinnen gehörte auch eine ehemalige Freundin seines Vaters, der man den Spitznamen „die Königin v. H–d“ beigelegt hatte[1]. Sie selbst nannte sich Vicomtesse de –; es wird mit ihrem Titel wahrscheinlich so beschaffen sein, wie mit dem aller angeschwindelten Adeligen.

Sollte man es nun glaublich finden, daß Alles dies, was ich eben beschrieben habe, unter den Augen einer in großem Maßstabe organisirten Curhaus-Behörde vorgeht? Da, wie schon gesagt, das Gebäude Eigenthum der Domaine ist, so steht das Etablissement unter der directen Beaufsichtigung der Regierung; diese hat zu dem Behufe einen Domainenrath und zwei Polizeicommissäre angestellt; selbst der Herr Oberpolizeidirector von Wiesbaden kommt manchmal in seiner Uniform, die fast der eines Generals gleicht, nach dem Curhause und hält seine Rundschau; welche Gründe mögen Wohl vorwalten, daß diese Herren dem Unwesen, das dort vorherrscht, nicht steuern? daß sie nicht auf die Entfernung jener ruinirten Spieler dringen, die, nachdem sie ihr Geld verloren haben, ohne irgend ein Subsistenzmittel, im schlechtesten, schmutzigsten Anzüge, mit hohlen Wangen und trübem Blicke, als wahre Jammerbilder in den Straßen umherwandeln und Grauen erregen? Wenn solche Menschen[2] – auf die ich später noch zu reden kommen werde – in Homburg geduldet sind, so ist es dahin zu erklären, daß dieser Ort nur eine Spielhölle sein kann und weiter nichts; aber Wiesbaden ist doch eine Residenz, die Hauptstadt eines Landes, das eine gewisse politische Rolle spielt! Die nassauische Regierung ist doch so streng auf Moral und Sittlichkeit und Religion, daß sie, als Redacteur Löwenthal ein Capitel seines Systems des Naturalismus in seinem Blatte abdrucken ließ, sofort seine Verhaftung anbefahl; die Polizei in ihrem moralischen Feuereifer ließ den besagten Redacteur mit Handschellen in’s Gefängniß führen, das Gericht verurtheilte ihn zu mehrwöchentlichem Gefängnisse. Nun möchte ich mir die Frage erlauben: Gesetzt jener Mann hätte statt des besagten Artikels einen andern veröffentlicht, worin er bewies, daß das Roulettespiel in nothwendigem Zusammenhange mit dem Naturalismus stehe, da es doch mit den göttlichen Gesetzen gewiß nichts zu schaffen habe – hätte man ihn dann auch der Gotteslästerung angeklagt? Oder umgekehrt, wenn ein Schriftsteller im Nassauischen behauptete, daß das Spiel eine gotteslästerliche Einrichtung sei, und dies aus dem Evangelium bewiese, würde die Regierung diesen moralischen Eiferer nicht vielleicht in derselben Weise behandelt haben, wie jenen atheistischen?

Ich muß hier gleich bemerken, daß der Herzog von Nassau den ganzen Pachtertrag, der ihm für den Betrieb der Curhäuser in Ems und Wiesbaden entrichtet wird, den verschiedenen Instituten der beiden Städte angewiesen hat, daß er selbst also durchaus keinen directen Gewinn davon zieht. Es ist dies ein Beweis, daß der Herzog gleich der badischen Regierung von der Ueberzeugung geleitet sein muß, daß die Curhäuser zur Wohlfahrt der Städte, vielleicht des Landes beitragen. Wir wollen diesen Punkt später beleuchten und bitten den Leser uns vorläufig nach Baden-Baden zu folgen; wir werden ihn nunmehr in die moralische Spielhölle führen.

Wenn man, von Homburg und Wiesbaden kommend, in das „maison de conversation“ von Baden tritt, so möchte man für den ersten Moment kaum glauben, daß man sich in einem Spielhause befindet; denn die äußerliche Haltung bietet einen auffallenden Contrast dessen, was man bisher zu sehen gewohnt war. Schon die geräumigen Localitäten, die vielen Säle, wo nicht gespielt wird, rechtfertigen den Titel Conversationshaus; auch ist nur eine Roulette und ein Trente- und Quarante-Tisch in Thätigkeit. Da sind auch keine galonnirten und frechblickenden Lakaien, die jeden Ankommenden messen und seine Vermögensumstände zu berechnen scheinen, sondern schwarz gekleidete, fein aussehende Diener, die sich mit Ruhe und Anstand bewegen und jeden Fremden mit zuvorkommender Höflichkeit behandeln. Da sind keine Croupiers und keine Aufseher, die sich geberden wie die Herren des Hauses. Und welche Gesellschaft! Wie im Walpurgisnachtstraum, dem Intermezzo von Goethe’s Faust: lauter elegante Leute, Tänzer, Tanzmeister, Fiedler, neugierige Reisende, Musageten, alt’ und junge Hexen, kurz „was man nur wünschen kann“, und Alles im schönsten, elegantesten dehors! Welcher Geschmack in den Toiletten! welche Grazie in den Bewegungen! welcher Anstand in der Haltung! Und an dem Spieltische, welche Noblesse im Geldverlieren! Man hört keinen Zank, man sieht keine Professionsspieler mit Plänen von Systemen um sich, man hört fast nur aristokratische Namen nennen, und die Träger derselben sind wirkliche Comtes, Vicomtes, Princes u. s. w. Die Damen du demi-monde gehören zu den auserlesensten Exemplaren ihrer Gattung. Eine Masse von Privatequipagen fahren an das Curhaus; aus ihnen steigen höchste und hohe Herrschaften, die fast alle ihre eigenen Palais in Baden-Baden besitzen; die Curliste weist eine Menge Berühmtheiten aller Art auf, aus der Diplomatie, aus den politischen Körperschaften, aus dem russischen wie dem französischen Senare, dem preußischen Herrenhause und dem österreichischen Reichsrathe, aus der französischen und deutschen Kunst- und Literaturwelt; Poeten, Musiker, Maler, Journalisten, Schauspieler und Schauspielerinnen, Alles vom besten Tone, promeniren alltäglich vor und in den Räumen dieser maison de conversation, und wahrhaftig, man sollte glauben, daß der Pächter dieses schönen Etablissements es nur halte, um die schöne Welt quasi bei sich zu empfangen, und daß er die Spieltische nur aufgestellt habe, um dem Wunsche derjenigen großen Herren, die auch dieses Vergnügen genießen wollen, einigermaßen zu entsprechen!

Und wer wollte auch bezweifeln, daß Herr Bénazet, der directeur de la maison de conversation, der Ritter des Ordens der Ehrenlegion, das Spiel nur als Nebensache betrachtet? Ungläubiger Leser, wirf einmal den Blick auf irgend ein französisches Blatt während der Sommersaison! Da wirst Du vor Allem lesen, daß Bénazet der König von Baden (le roi de Bade) ist[3] – der Regent des Landes ist nur Großherzog – Du kannst die Beschreibungen der Feste, der großen Concerte, der Bälle, der Theatervorstellungen lesen, die Bénazet alle aus seiner Tasche bezahlt. Ja, er läßt sogar Opern und Baudevilles eigens für sein Theater schreiben. Und wie prächtig sind die Säle, die er blos für die Bälle, blos für die Theatervorstellungen bauen ließ! Nur wenig Monarchen haben schönere und keiner hat geschmackvollere! Doch das Alles ist noch nichts! Bénazet hat ein Spital errichtet, er hat vor etwa vier Jahren eine große Rennbahn mit Tribünen u. s. w. bei Iffezheim, ich möchte sagen, erfunden, auf der jährlich Wettrennen stattfinden, die bereits eine europäische Berühmtheit erlangt haben, er unterhält Meuten und Jäger, veranstaltet jährlich glänzende Parforce-Jagden, er hat auch eine Kirche gestiftet, und giebt alljährlich einige Tausend Franken an die milden Anstalten Badens. Noch mehr! Bénazet ist der einzige Spielpächter, der die fictiven Zugeständnisse, welche Homburg, Wiesbaden, Nauheim den Spielern einräumten, beharrlich verweigert hat. In Baden giebt es kein halbes refait, und die Roulette spielt nach wie vor mit zwei Nullen. Wer will nun leugnen, daß Baden keine Spielhölle ist, sondern nur ein reizender Vergnügungsort, wo mitunter auch gespielt wird? Wer?

Ich!! Ja noch mehr! ich will behaupten und beweisen, daß Baden von allen Spielhöllen die gefährlichste ist – obwohl ich zu gleicher Zeit ganz im Widersprüche mit dieser Behauptung gerne gestehen will, daß sie in anständiger Gebahrung so weit über den andern steht, daß man gar keinen Vergleich anstellen kann.


(Schluß folgt.)
  1. Ich erzähle hier so allbekannte Dinge, daß von einer Indiscretion, von einem Aufdecken nur mir bekannter Thatsachen gar nicht die Rede sein kann.
  2. Erlauben Sie, Herr v. S –g, wäre es nicht praktischer, wenn man die größern –, welche vielleicht keine schmutzige Wäsche tragen, aber an der Spitze dieser Höllen stehen, zuerst aus der anständigen Gesellschaft entfernte und in Correctionshäuser unterbrächte?      D. Red.
  3. Das stand schwarz auf weiß in der Indépendance vor zwei oder drei Jahren. Sollte man mich der Unwahrheit zeihen wollen, so bin ich bereit, die Nummer ausfindig zu machen.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_235.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)