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Seite:Die Gartenlaube (1862) 397.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

in die geistige Stimmung und Ansicht zu heben.“ So gedachte er, indem er Weib und Kind verlassen und sich den Wechselfällen des Krieges aussetzen wollte, das Volk zu begeistern und die Führer mit sich fortzureißen. Aber zu einer solch idealen Höhe konnten sich die Häupter und Lenker selbst jener großen Erhebung nicht aufschwingen, und das seltsame Anerbieten wurde nicht weiter berücksichtigt. – Da er im Felde keine Verwendung fand, so wurde er ein eifriges Mitglied des sich bildenden Landsturms, dem der Schutz des heimischen Heerdes anvertraut war. Mit Fichte traten fast alle Lehrer der Berliner Hochschule in den Landsturm ein, darunter Männer wie Buttmann, Boekh, Solger, Neander, Savigny, Lichtenstein, Erman, Zeune und vor Allen der berühmte Schleiermacher. Feierlich verbanden sie sich zum Schutze für das Vaterland, und daß sie selbst den Tod nicht scheuten, beweist das folgende interessante Actenstück: „Da unter den gegenwärtigen Kriegsverhältnissen jeder tüchtige Mann der Gefahr ausgesetzt ist, bei Vertheidigung des Vaterlandes sein Leben zu verlieren und seine Familie hülflos zu hinterlassen, so verpflichten sich die Unterzeichneten auf ihr Gewissen und ihre Ehre, falls einer oder mehrere im Kriege umkommen sollten, für deren Hinterbliebene Weiber und Kinder theils durch eigene Beiträge, theils durch alle mögliche Verwendung beim Staate, oder wo irgend Beihülfe zu erwarten sein könnte, dergestalt zu sorgen, daß die Subsistenz derselben gesichert sei, es mag nun der Familienvater im Kampfe selbst oder als Opfer des Krieges verstorben sein. Auf die Weise den ehrenvollen Dienst für das Vaterland einander wechselseitig zu erleichtern, versprechen die Unterzeichneten feierlich durch ihre Unterschrift.“

Mit dem größten sittlichen Ernst jedoch, der jeder Handlung seines Lebens gleichsam eine religiöse Weihe verlieh, erschien Fichte in seinem neuen kriegerischen Wirkungskreise. Der friedliche Mann der Wissenschaft vertauschte den bequemen Professoren-Rock mit der Alles gleichmachenden Blouse; sein würdiges Haupt bedeckte der breite runde Hut mit der damals zuerst auftauchenden preußischen Kokarde; im Ledergurt steckten zwei große Pistolen, und der mächtige Schleppsäbel klirrte an seiner Seite. Seine ganze Haltung aber verrieth vor Allem den Geist, der ihn beseelte, die hohe Bedeutung, welche er seinem militärischen Berufe beilegte. Man sieht es dem aus jener Zeit stammenden Bilde des großen Philosophen an, dem entschlossenen Ausdruck dieser scharf geprägten Züge, daß er nicht Anstand genommen hätte, muthig sein Leben für das Vaterland zu opfern. Mit wahrhaft rührendem Eifer nahm er an den täglichen Uebungen, Märschen und Excercitien des Landsturms Theil, indem er seine liebsten Studien verließ und die wichtigsten wissenschaftlichen Untersuchungen ruhen ließ, um seiner patriotischen Pflicht zu genügen. Mit Schleiermacher stand er mehr als einmal Wache, und die beiden Gelehrten gaben ein herrliches Beispiel von Unterordnung und wahrer Bürgertugend.

In jenen denkwürdigen Tagen war es auch Fichte vergönnt, der Stadt Berlin einen wesentlichen Dienst zu leisten und durch seine Besonnenheit eine große Gefahr abzuwenden. In den letzten Tagen des Februars 1813 war die Residenz noch immer von einem schwachen französischen Heerhaufen besetzt, der durchaus nicht geneigt schien, die Stadt so bald zu verlassen, obgleich bereits die Vorposten des russischen Heeres sich in der Nähe zeigten und bis an die Thore streiften. Die Aufregung der Bürger hatte einen hohen Grad erregt. Da faßte ein Mann, der einen großen Anhang unter der feurigen Jugend hatte (Jahn?), den abenteuerlichen Plan, die französische Besatzung in den Häusern zu überfallen und ihre Magazine anzuzünden. Der Gedanke war um so gefährlicher, da der König noch nicht seine Kriegserklärung erlassen und der Vicekönig von Italien noch mit einem ansehnlichen Heere sich auf Berlin werfen und eine furchtbare Rache nehmen durfte. Die Ausführung war auf die nächste Nacht angesetzt, unter den Eingeweihten befand sich aber ein Schüler Fichte’s, der den Gedanken des Mordes von dem sittlichen Standpunkte seines Lehrers aus nicht rechtfertigen konnte. Um sein Gewissen zu beruhigen, wollte er die Ansicht und den Rath Fichte’s vernehmen. Dieser nöthigte ihn zu einem umfassenden Geständnisse des ganzen Vorhabens, dessen entsetzliche Folgen er sogleich erkannte. Ohne Zögern eilte er zu dem damaligen Chef der Polizei, durch dessen energisches und doch zugleich schonendes Einschreiten das unreife Unternehmen verhindert und somit ein großes Unheil von Berlin abgewendet wurde.

So wachte und sorgte Fichte unablässig, furchtlos und unerschrocken, kräftig und besonnen für das Heil des Vaterlandes, bei Tag und Nacht keine Mühe, keine Anstrengung scheuend, das belebende und begeisternde Wort mit der männlichen That, die feurige Rede mit der todesmuthigen Opferfreudigkeit verbindend. – Groß war seine Freude über die ersten Siege der Freiheitskämpfer, und als die Nachricht von der gewonnenen Völkerschlacht auf Leipzigs Feldern ihn erreichte, betheiligte er sich an der allgemeinen Illumination, welche die Residenz veranstaltete, indem er selbst die Lampen und Lichter herbeiholte. Als die verständige Gattin dabei bemerkte, ob es nicht besser sei, das dafür zu verwendende Geld den verwundeten Kriegern zu überschicken, antwortete er ihr: „Das Eine thun und das Andere darum nicht lassen.“ – Aber selbst die glänzendsten Triumphe trübten nicht den hellen Blick des freisinnigen Denkers; bald erkannte er den veränderten Geist der Fürsten, die nur in ihrer höchsten Noth das Volk gerufen, so wie die Verwendung des Heeres im Dienste einer sich bereits, wenn auch nur leise und mit Vorsicht, regenden Reaction, die bald ihr Haupt mit frecher Stirn erhob und unberechenbares Unheil häufte. – Der Tod ersparte ihm eine Reihe von Enttäuschungen und Verfolgungen, welche Männer wie Arndt, Jahn etc. trafen. Bei der Pflege der Verwundeten in den Spitälern hatte sich Fichte’s Gattin, die in seinem Geiste handelte, ein Nervenfieber zugezogen; indem er die durch seine Pflege Wiedergenesene in seine Arme schloß, athmete er den Keim der entsetzlichen Krankheit ein. Fichte starb am 27. Januar 1814 im kräftigen Mannesalter. War es ihm auch nicht vergönnt, sich durch kriegerische Thaten auszuzeichnen, so legte sein Eintritt in den Berliner Landsturm ein herrliches Zeugniß ab für den Geist, der ihn beseelte, und daß er jeden Augenblick bereit war, sein Leben für das Vaterland und die Freiheit einzusetzen, nachdem er durch seine Reden an die deutsche Nation den gesunkenen Muth seines Volkes aufgerichtet, die Verzweifelten erhoben, die Schwachen gestärkt und gleichsam die Saat gesät, aus der die geharnischten Krieger des Befreiungskampfes emporstiegen. Auch Fichte war ein Held, nicht blos des Gedankens, sondern auch der That, und verdient neben Scharnhorst, Gneisenau und Blücher dreist genannt zu werden, wenn er auch nur im Berliner Landsturm als Gemeiner diente.

Max Ring.





Blätter und Blüthen

Die Taubenpost. Die elektro-magnetischen Telegraphenlinien sind ein Erzeugnis; des letzten Decenniums, soweit dieselben auf dem Continente von Europa zur Beförderung von Depeschen benutzt werden. Eine kleine derartige Entrichtung bestand zwar schon vor dieser Zeit auf der Rheinischen Eisenbahn, um An- und Abfahrt der Züge auf den Endpunkten der etwa 1/2 Meile langen sogenannten geneigten Ebene zwischen Aachen und Ronheide (eine besonders steile Eisenbahnstrecke, welche auf je 38 Fuß Länge um einen Fuß steigt) zu signalisiren; diese elektrische Telegrapheneinrichtung gab indessen nur Zeichen mit der Glocke, ohne daß sie zu wörtlichen Uebermittelungen hätte benutzt werden können.

Regierungen hatten zwar auf besonders wichtigen Linien optische Telegraphen, wie z. B. eine solche Einrichtung zwischen Berlin und Coblenz bestand, nämlich durch Uebermittelung von bekannten Zeichen an Stangen von hohen Punkten aus, welche einander auf Entfernungen von einigen Stunden gegenseitig sichtbar blieben. Solcher optischen Telegraphenlinien gab es jedoch nur wenige, und diese blieben außerdem der Benutzung des Publicums unzugänglich.

Wer also vor jener Zeit Mittheilungen von großer Eile und Wichtigkeit zu versenden hatte, der mußte sich der Eisenbahn-Posten, und wo solche nicht bestanden, der Estafetten oder Couriere bedienen, welche Beförderungsart nicht nur oft eine verhältnißmäßig langsame, sondern auch eine recht theuere sein mußte. Aber auch die Schnelligkeit der Eisenbahnzüge auf großen Hauptlinien hat sich gegen diejenige vor zehn Jahren und mehr verdoppelt, was theils den besseren Anschlüssen und Betriebs-Einrichtungen, großentheils jedoch der vorgeschrittenen Leistungsfähigkeit der Locomotiven beizumessen ist. Fand doch die erste Beförderung auf der Eisenbahn zwischen Mecheln und Antwerpen vermittelst Schienen statt, welche auf der Oberfläche wellenförmige Gestalt hatten, weil man damals annahm, eine oben glatte Schiene biete den Rädern zu wenig Reibung dar und sei für die Beförderung nicht hinreichend zuverlässig. Derartige Eisenbahnschienen


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_397.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)