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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

mit der letzten Scholle, die man einst meinem Sarge nachwerfen wird, ist auch mein Name der Vergessenheit anheim gefallen. Ihr Glücklichen, denen Mutter Natur ein Organ in die Brust gelegt, volltönend und kräftig genug, um Shakespeare’s, Schiller’s und Goethe’s herrliche Worte auf der Bühne erklingen zu lassen, jedes warme Zuschauerherz erhebend und begeisternd!

Warum mir gerade dieses schnarrende, mißlautige Instrument, zu meiner glühenden Seele passend, wie die Straßenorgel zum Kirchengesang! Warum mir gerade dieses tonlose Organ, eben gut genug, den Possenreißer zu spielen, um der johlenden Menge ein paar müßige Stunden zu verkürzen; ohne tieferen Eindruck, ohne bleibende Nachempfindung! Und an diese fluchbeladene Existenz gefesselt zu sein, wie der Galeerensklave an die Kette!


München.

Heute habe ich einen furchtbaren Abend erlebt. Der berühmte Eßlair spielte am Hoftheater den Tell, eine seiner Forcerollen. Ich fliege in’s Schauspielhaus, um die Künstlergröße anzustaunen, von welcher der Ruf so viel Günstiges erzählt. Was finde ich? Eine Ruine! Eine Ruine, zerfallen und ohne Spur ehemaliger Herrlichkeit. Ein alter Mann, zahnlos, kaum noch verständlich seine Aufgabe handwerksmäßig herablallend und das Publicum, das den einst Gefeierten in anerkennungswerther Pietät mit einem Sturm von Applaus empfing, im Verlaufe der Darstellung eisig kalt lassend. Ich kann nicht beschreiben, wie schneidend wehe mir der Anblick that. Die Erscheinung berührte mich um so schmerzlicher, als ich erfuhr, daß nur Geldnoth den Greis dazu trieb, seine früher errungenen Lorbeeren selber in den Staub zu treten. Ach, welch’ ein widerlicher Anblick ist doch ein alter Komödiant! Wird es mir einst auch so gehen? Von jetzt an will ich sparen, die Sorge für die Zukunft soll in Folge mein Cassenverwalter sein, und der heutige Tell möge ein warnend Schreckbild als Titelbild meines Aufgabebuches stehen. Ob es nicht besser wäre, mit einem raschen Pistolenschuß diesen Sorgen zuvorzukommen, während man noch auf dem Zenith des Ruhmes steht?


Wien, den –.

Heute Abend haben wir einen Theaterscandal zu gewärtigen. Die Krones tritt nach einer mehrmonatlichen Pause wieder auf. Der Leichtsinn dieser allerdings sehr talentvollen Person hat selbe in eine gräßliche Situation verwickelt. Ein reicher polnischer Cavalier sucht ihre Bekanntschaft zu machen, und läßt sich bei der beliebten Schauspielerin einführen. – Es soll dies – wie die böse Welt behauptet – eben nicht mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein. Kurz und gut, in wenig Wochen stehen die Krones und Graf Jaroschinsky auf so vertrautem Fuße, daß Erstere eine Einladung zum Mittagsessen in der Wohnung des Edelmanns annimmt. Es soll dort toll genug zugegangen sein. Während die Orgie im vollen Gange ist, wird der Graf abgerufen. Die Krones setzt sich an’s Clavier und trällert ein Modeliedchen. Plötzlich öffnet sich die Seitenthür, und Graf Jaroschinsky steht umgeben von Polizeidienern und Criminalbeamten, mit schweren Ketten gefeselt und mit todtenbleichem Antlitze, vor den Augen seiner entsetzten Gäste. Die Krones fällt in Ohnmacht, ob in eine wirkliche oder fingirte, will ich dahin gestellt sein lassen, wird aber durch die Hände der rauhen Sicherheitsbeamten in’s Leben zurückgerufen und muß nun über ihr Verhältniß zu dem Grafen – der eines Raubmordes angeklagt ist – genaue Auskunft geben. Es sollen dabei eben nicht die erbaulichsten Details an’s Tageslicht gekommen sein. Jaroschinsky hat wirklich, wie es sich bald ergab, seinen ehemaligen Lehrer, den siebenzigjährigen ehrwürdigen Professor Blank, mit kalter, henkersmäßiger Grausamkeit gemeuchelt und bestohlen und mußte vor wenig Wochen seine fluchbeladene That am Galgen büßen. Die Krones, hieß es damals, werde der Bühne entsagen und sich in ein Kloster zurückziehen. Und jetzt, nachdem kaum mehrere Monate über dies Ereigniß hingegangen, hat die Person die Frechheit, wieder vor die Augen des Publicums zu treten. Alles ist empört, und die Krones wird, trotz ihrer Beliebtheit als Künstlerin, ein gewaltiges Strafgericht zu überstehen haben.

Ich bin gottlob in der heutigen Vorstellung nicht beschäftigt; und geht mich gleich die ganze saubere Geschichte persönlich nichts an, so schäme ich mich doch in tiefster Seele hinein, daß solche Dinge beim Theater vorgehen können. Ich kann es nicht über mich gewinnen, mich unter die Zuschauer zu mengen, sondern ich werde mir irgend einen Winkel auf der Bühne suchen und die Resultate des verhängnißvollen Abends in banger Erwartung vorübergehen lassen.


Den folgenden Tag.

Die Krones ist gestern Abend mit einem Sturm von Applaus, ohne das geringste Zeichen von Mißfallen, empfangen worden! [1]

Ist es denkbar! Wahrlich, so sehr ich gestern fürchtete, unsern Stand beschimpft zu sehen, so empört war ich dennoch über den Ausgang. Ist dies dasselbe Publicum, welches ein Recht zu haben glaubte, sich in meine Privatverhältnisse einzumengen, und mich wüthend auspfiff, weil ich ein Mädchen nicht heirathen wollte, von deren Sittenlosigkeit ich mich leider während des Brautstandes vollständig überzeugt hatte? Ich wurde deshalb mißhandelt, und eine gemeine Buhlerin, deren Verschwendung Mitursache an einem Morde gewesen, wird mit einem Jubel empfangen, als träte sie nach einer großen That vor die Augen der Menge! Ja, um das Maß voll zu machen, wurden einige bezügliche Reden – man gab eine Parodie auf Spontini’s Vestalin – besonders aber die Worte der Krones: „das dumme Volk wird doch nicht im Ernste glauben, daß ich eine Vestalin bin?“ mit einem rasenden Beifallssturm aufgenommen. Die Röthe der Scham brannte mir auf der glühend heißen Wange; und die Menge jauchzte! Und diesem Götzen, charakterlos und launisch, bringt der Schauspieler sein Dasein, der Künstler den „Saft seiner Nerven“ zum Opfer!


Am Abend desselben Tages.

Heute zum ersten Male während einer zwanzigjährigen Künstlerlaufbahn drängt sich mir der Gedanke durch den Kopf, ob ich nicht besser gethan hätte, nach den Willen meines alten braven Vaters ein friedlicher Handwerker zu werden. Ich sehe ihn vor mir, den gutmüthigen Greis mit den Silberlocken, wie er mit rastlosem Fleiße schafft und sich müht um die Existenz seiner Familie.

An einem Sonntag, das einfache Mahl war verzehrt, das Tischgebet gesprochen, frug er mich mit herzlichen Worten: welchen Stand ich mir zu wählen gedenke? Und als ich hierauf mit scheuer Stimme antwortete, ich wolle Schauspieler werden: da wurde der alte Mann bleich wie der Tod, die gutmüthigen Augen umzogen sich mit einem hervorquellenden Thränenflor, nach langer Pause entrangen sich den bebenden Lippen meines armen Vaters die beinahe unhörbaren Worte: „Ferdinand, das kann dein Ernst nicht sein. Du wirst deine unglücklichen Eltern nicht vor der Zeit ins Grab bringen wollen!“ Da trat auch die Mutter an mich heran, und beschwor mich mit heißen Thränen, von meinem Vorsatze abzustehen, und meine liebliche Schwester Gertrude ergriff meine Hand und vereinigte ihre Bitte mit denen meiner theuren Erzeuger. Erschüttert gab ich den Meinen das Wort, nie mehr an die vorübergehende Idee zu denken, Schauspieler zu werden. Dankbar drückte mich der Alte ans treue Herz, Jubel scholl durch die Räume unserer sonst stillen Wohnung, ein Fest wurde improvisirt, es war, als sei ich meiner Familie zum zweiten Mal geboren worden. Nochmals mußte ich meinem Vater das feierliche Wort geben, dem unseligen Vorsatze „Komödiant“ zu werden zu entsagen.

Ich habe mein Wort nicht gehalten.

Zürnst Du mir deshalb noch, verklärter Dulder dort oben? Sieh, Du bist gerächt! Vollwichtig gerächt! Trotz allem, was man im gewöhnlichen Leben Glück nennt, habe ich während der langen, langen Zeit, daß ich der Bühne angehöre, mich nicht eines wahrhaft glücklichen Augenblicks zu erfreuen gehabt. „Du sollst Vater und Mutter ehren.“ – Ich habe die letzten Wünsche der Meinen außer Acht gelassen, dafür stehe ich jetzt allein und freundlos in der Welt. Niemand, der mir angehört, alle meine Lieben ruhen im Schooße der Erde. In den bereits erbleichenden Locken wühlt kein liebes Kind, kein theurer Sprößling schaukelt auf meinem Kniee, welches die Hand stützt, in der das sorgenschwere Haupt ruht.

Du sollst Vater und Mutter ehren.

Und doch – war es denn meine Schuld? Konnte ich dem Drange widerstehen, welcher mich unaufhaltsam den verhängnißvollen Bretern entgegenriß? Konnte ich ankämpfen gegen die glühende Neigung zur Kunst, welche mir von meinem unausweichbaren Geschicke gleichsam als Pathengeschenk in die Wiege gelegt zu sein schien? Von dem Tage an, als sich mit dem Auschauen des ersten Bühnenwerkes eine nie geahnte Wunderwelt vor meinen erstaunten Blicken erschloß, konnte ich die fieberhafte Pein, die heiße Sehnsucht nach der Priesterschaft in dem für mich heiligen Tempel der Kunst nicht eine Minute los werden.

Kaum hatten wir den braven Vater hinaus getragen auf den

  1. Factisch!
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_503.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)