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Der Veteran der deutschen Theaterprincipale.

Ein Gefühl eigenthümlicher Wemuth ergreift uns, indem wir das Blatt zurechtlegen, auf dem wir unsern Lesern das Bild eines Mannes zeichnen wollen, dem jene classischen Breter, welche die Welt bedeuten, mehr als vielen Andern schuldig geworden sind. Wir glaubten dem Manne, den wir noch vor wenigen Wochen geistig frisch und körperlich rüstig in unserer Mitte weilen sahen, dem wir gar manchesmal begegneten, wenn er mit munterem Schritte die Straßen seines alten, vielgeliebten Leipzigs, der heimathlichen Stätte seiner ersten Wirksamkeit, durcheilte, – wir glaubten ihm eine frohe Ueberraschung zu bereiten, wenn wir ihm zur Feier seines nahen achtzigsten Geburtstages in der Gartenlaube einen bescheidenen Denkstein stifteten, der älteren Generation, namentlich unter seinen Leipziger Mitbürgern, zu lieber Erinnerung an vergangene schöne Tage, der jüngeren zur Kenntniß und Beherzigung. Und nun – deckt schon der erste Schnee seinen Hügel auf dem St. Johannis-Friedhofe der Vaterstadt, und das unerbittliche Geschick hat uns die gehoffte Freude vereitelt. Wir können jetzt nur noch unsern Kranz niederlegen neben den vielen, welche das Grab des Greises schmückten, indem wir in kurzen Worten das reiche Leben und Streben des Geschiedenen schildern, – Karl Theodor’s von Küstner, des berühmten Bühnenleiters, ja in gewissem Sinne des Regenerators und Neuschöpfers der deutschen Bühne, wenigstens ihrer Verwaltung.

Es giebt keine Pflanzschulen und Seminarien zur Erziehung guter Bühnenleiter, sondern diese pflegen aus den verschiedenartigsten Berufen und Beschäftigungen, meist durch eine besondere Verkettung äußerer Umstände getrieben, zu einem solchen Wirkungskreise überzugehen, für den sie sich in der Regel durch eine alte leidenschaftliche Liebe zum Theater bestimmt, oder auch durch eigene künstlerische Versuche vorbereitet haben. Auch der Bühnenlaufbahn Küstner’s ging mehrfache gelehrte und praktische Thätigkeit und mannigfache Erfahrung und Bethätigung im Dienste des Lebens und der Zeit voran. Ein geborener Leipziger, der Sohn eines in der kaufmännischen Welt noch heute hochgeachteten Bankhauses, besuchte Küstner von jeher das Theater in Leipzig, wo damals die Franz Seconda’sche Gesellschaft spielte und das sogenannte Conversationsstück, die Iffland’schen und Kotzebue’schen Dramen, mit großer Lebenswahrheit und Virtuosität gab. Iffland selbst, Ludwig Devrient, die Unzelmann-Bethmann nebst ihrem Gemahl, die Fleck, die Hendel-Schütz, Beschort und Rabenstein, Alles in der Bühnenwelt hochgefeierte Größen, gastirten häufig bei der Gesellschaft. Ganz besonders aber übten die Darstellungen des von Goethe und Schiller geleiteten Weimarischen Theaters im nahen Lauchstädt und in Leipzig selbst, wo die herzoglich-sächsischen Hofschauspieler 1807 als Gäste erschienen, eine mächtige Anziehung auf den jungen Bühnenenthusiasten und gaben seiner Neigung für die Bühne jene ernste und gediegene, classische Richtung, welcher er seitdem stets treu blieb.

Auf Reisen durch Deutschland, Frankreich und Italien lernte er nach und nach alle größeren und ersten Künstler des In- und Auslandes kennen, namentlich auch das Theatre français zu Paris und mit ihm Talma, die Georges, Duchesnois und Mars, die unübertroffenen Heroen der tragischen und komischen Muse Frankreichs. Die Anschauung des Theaters verband sich aber auch noch mit dem Studium der besten dramaturgischen Werke, sowie endlich mit eigenen mimischen Versuchen. Auf einem wahrhaft ausgezeichneten Liebhabertheater im Hause des auch in weiteren Kreisen bekannten Gelehrten und Kunstkenners, Oberhofgerichtsraths Blümner in Leipzig, wurden während mehrerer Jahre classische Dramen, z. B. „Nathan“, „Emilia Galotti“, „Minna von Barnhelm“, „Tasso“, „Iphigenia“, „die Laune des Verliebten“, „die Geschwister“ u. s. w. von einem Vereine hochgebildeter Männer und Frauen (Blümner selbst, Rochlitz, Müllner, Limburger, Wilhelmine Reichenbach, Caroline Hoffmann, Julie Limburger, Betty und Caroline Tischbein) mit Lust und Fleiß gegeben und mit einer Gründlichkeit, die nicht auf allen Dilettantenbühnen heimisch ist. Küstner schloß sich mit Begeisterung diesem Vereine an und übernahm unter Anderen die Rolle des Tasso, des Orest, des Wilhelm (in den Geschwistern).

So lebte und webte denn bereits der junge Mann in einer reichen und bunten Kunstwelt, als die mächtige Bewegung von 1813 alle Geister mit Sturmesgewalt ergriff und auch ihn gewaltig packte. Die Katastrophe in Rußland hatte im Frühling des genannten Jahres die Franzosen aus Sachsen vertrieben, da kam Theodor Körner mit einer Anzahl seiner Cameraden vom Lützow’schen Corps nach Leipzig. Ein gemeinschaftlicher Freund, von Behrenhorst aus Dessau, führte den Sänger von „Leier und Schwert“ auch mit Küstner zusammen, und bei diesem war es, wo sich die Jünglinge dann oft in traulichen Abendgesellschaften sahen.

Nach der Leipziger Schlacht im October 1813 meldete sich Küstner zu dem damals sich bildenden „Banner der freiwilligen Sachsen“, verschaffte demselben für Equipirung Unbemittelter bedeutende Summen und wurde demzufolge bei der Kammer des Freicorps angestellt. Er und Professor Krug, die ersten, die sich gemeldet hatten, waren auch die ersten vom Fürsten Repnin und General Carlowitz ernannten Officiere. Doch hatte, wie man weiß, das Banner keine Gelegenheit mehr, seinen Muth im Felde zu bewähren; schon auf dem Marsche nach Frankfurt a. M. traf es die Nachricht vom Einzuge der Verbündeten in Paris.

Das Kriegerthum hatte aber unseren Küstner nicht der Muse entfremdet, der er schon früh mit Innigkeit huldigte. Es kam vielmehr die Zeit, wo er zur Anknüpfung eines entschiedenen Verhältnisses für seine Lieblingsthätigkeit überging, die ihm, der nach wohlbestandenem Examen bereits seit 1810 zum Doctor juris promovirt und als Docent an der Leipziger Universität habilitirt war, schon lange als eigentlicher Lebensberuf gewinkt hatte. Er war es, der 1817 hauptsächlich den neuen Theaterbau und die Errichtung einer stehenden Bühne in seiner Vaterstadt förderte; er wußte das Interesse für Gründung einer solchen unter der Bewohnerschaft zu wecken und sammelte eine Menge gewichtiger Unterschriften zu einer von ihm verfaßten Adresse an den König von Sachsen, mit dem Gesuch um Erlaubniß zu einem stehenden Theater und um Aufhebung des Privilegiums, vermöge dessen die Seconda’sche Hofschauspielergesellschaft aus Dresden während der Messe in Leipzig gespielt hatte. Das Gesuch wurde genehmigt. Küstner erbot sich zur Uebernahme der Direction und zu dem bedeutenden Pachtzins von jährlich dreitausend Thalern, welche Summe die Zinsen des für den Theaterausbau aufgewendeten Capitals deckte, und so wurde die Errichtung des Leipziger Stadttheaters möglich gemacht. Er ist mithin der eigentliche Begründer desselben und verdient um so mehr den Dank seiner Mitbürger, als er seiner elfjährigen Unternehmung große finanzielle Opfer brachte.

Unter Küstner’s von künstlerischer Begeisterung und praktischem Talent getragener Leitung stieg die Bühne Leipzigs zu einer ersten Kunstanstalt Deutschlands empor. Die äußeren Erfolge wie die artistischen Früchte dieser Leipziger Theaterepoche waren glänzend. Indem er der Anstalt eine allseitige Ausbildung, und zwar nach dem höchsten Maßstab, zu geben suchte, faßte er auch die gesellschaftliche und juristische Seite eines Bühnenverbandes in’s Auge, wie es vor ihm noch nie mit solch umfassendem, alle Einzelheiten aus dem Gesichtspunkt eines großen und würdigen Ganzen durchdringendem Blick geschehen war. Bereits die Gesetze, welche er für seine Leipziger Schauspielergesellschaft aufstellte, bewiesen seine Befähigung zum Bühnenleiter, – ein Talent, das er später in München und Berlin unter noch schwierigeren und verwickelteren Verhältnissen abermals zu bethätigen Gelegenheit erhielt. Die günstigen Wirkungen dieser Gesetze zeigten sich in Leipzig nicht blos in der Strenge der inneren Disciplin, welche Küstner jederzeit aufrecht erhielt, sondern auch in der Einigkeit und dem regen Kunsteifer aller Mitglieder – Dingen, die bekanntlich weiße Sperlinge in den Bühnengesellschaften zu sein pflegen. Für die auserlesene Vorzüglichkeit des Personals sprechen die Namen Wohlbrück Vater, Genast und Frau, Doris Böhler, nachherige Devrient, Löwe, Stein, Emil Devrient, Wurm und Frau, Vetter und Frau, frühere Miedke, Anna Sessi, Corona Werner und Katharina Canzi. So steigerte sich natürlich die Theilnahme für das Theater in Leipzig ungemein und mit ihm die Einnahme desselben. Trotzdem und ungeachtet er es war, welcher auch die wirklich mustergültige Pensionsanstalt des Leipziger Theaters gründete, die jetzt so manche dienstunfähig gewordene frühere Mitglieder vor Noth und Entbehrung schützt, sah er sich doch durch örtliche und zufällige Umstände veranlaßt, seine in der gesammten deutschen Bühnenwelt Epoche machende Direction

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_748.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)