Seite:Die Gartenlaube (1867) 542.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

mit all’ dem unter Thränen lachenden Humor repräsentiren, wie nicht leicht ein zweites deutsches Blatt.

Es war eine stille gemüthliche Zeit, der Anfang der vierziger Jahre, in die auch der Anfang der Fliegenden Blätter fällt. Das Kunstleben in München stand zu der Zeit in höchster Blüthe, die Gemüther waren damals noch nicht durch die viele Politik, die sie später verarbeiten mußten, vergrämt und vergällt, der Verdienst war reichlich, die Leute brauchten zu der Zeit noch nicht all’ ihr Geld für’s Militär auszugeben und überließen sich deshalb gern einem behaglichen fröhlichen Lebensgenusse. Wie Märchen klingen uns aus dieser Zeit herüber die Schilderungen der glanzvollen Künstlerfeste, welche im Winter in den Prachtsälen der Residenzstadt, im Frühling und Sommer in den herrlichen Umgebungen der Stadt, auf den waldigen Höhen der Menterschwaig und Großhesselohe mit seltenem Glanz gefeiert wurden.

In dieser Zeit hatten sich zwei Freunde zusammengefunden, deren Namen, die jetzt Millionen von Fliegenden Blättern längst bekannt gemacht haben, damals noch sehr dunkel erschienen. Es war ein Maler und ein junger Buchhändler, Caspar Braun aus München und Friedrich Schneider aus Leipzig. Der Erstere, ein Schüler von Cornelius und Studiengenosse Kaulbach’s, kam auf den Gedanken, die Holzschneidekunst zu höherer Entwickelung zu führen, und ging deshalb nach Paris zu Grandville und dessen Xylographen, um die Sache gründlich zu studiren. Nach München zurückgekehrt, begann er in Gemeinschaft mit einem Hofrath Dessauer ein Holzschnittatelier zu errichten. Der Letztere war indeß nicht der Mann für das Unternehmen und verkaufte kurz darauf seinen Antheil an den damals noch in einer Buchhandlung Augsburgs angestellten Friedrich Schneider. Dieser kam nun nach München und war bald ein gern gesehener Gast in der bekannten Künstlerkneipe, dem Stubenvoll, machte Bekanntschaft mit vielen der daselbst verkehrenden Maler und erfreute sich an dem Humor, den diese in einer Menge vom Augenblick eingegebener Skizzen entfalteten, in welchen meistens eine oder die andere der anwesenden Persönlichkeiten mit heiterster Laune persiflirt wurde.

„Es ist doch schade,“ meinte eines Tages Schneider zu seinem Associé, „daß alle diese prächtigen Bilder in den Mappen vergraben bleiben sollen! Wie wäre es, wenn wir ein komisches Blatt herausgäben und es durch dergleichen Humoresken illustrirten?“

Braun erfaßte mit Eifer die Idee; man sprach bei Freunden und Bekannten vor, unermüdlich warb Schneider bei Künstlern und Schriftstellern herum, überall fand die Idee Anklang und die Fliegenden Blätter waren geschaffen.

Gleich die erste Nummer der neuen Zeitschrift sprach allgemein an, obwohl der literarische Theil verhältnißmäßig untergeordnet und unbedeutend war, allein mit dem Absatz des Blattes wollte es nicht recht gehen, und bei Schluß des ersten Bandes fanden sich die beiden Gesellschafter eines schönen Sonnabends nur noch im Besitze eines Wechsels von zweihundert Gulden, als ihres einzigen realisirbaren Vermögens. Zum Glück liefen schon in der nächsten Woche so viele Bestellungen auf den zweiten Band ein, daß sich die Rentabilität des Unternehmens nicht mehr in Frage stellen ließ und ein Buchhändler in Augsburg, Schneider’s einstiger Chef, die nöthigen Mittel zu energischerer Fortsetzung des Geschäftes darlieh. Jetzt war die Existenz der Fliegenden Blätter gerettet, ihren eigentlichen Aufschwung aber verdankten sie zumeist dem so überaus glücklich erfundenen, weltberühmt gewordenen Paare Eisele und Beisele.

Jetzt fanden sich Mitarbeiter die Hülle und Fülle und es war gar ein lustiges Leben und Treiben in dem Redactionsbüreau von Braun und Schneider am Dultplatz zu München. Da schrieb Fentsch seine reizenden, poetischen Novellen; Trautmann erzählte vom alten München so schön und innig, daß man bedauerte, nicht vier Jahrhunderte früher zur Welt gekommen zu sein; Graf Pocci, der originelle und geistreiche Dichter und Künstler, schuf seinen classischen Staatshämorrhoidarius und die berühmten Figuren des keroplastischen Cabinets; Hermann Marggraff, der jetzt längst unter dem grünen Rasen schlummert, erzählte seine drolligen Schnurren und Münchhauseniaden von Fritz Beutel; Levin Schücking dichtete seine herrliche Novelle „Die drei Freier“; sogar Ludwig Steub, der große Gelehrte, brachte eine reizende Erzählung vom „Seefräulein“; außer diesen Genannten war noch ein ganzes Heer von jungen namenlosen Dichtern vorhanden, die alle ihre schönsten Lieder den „Fliegenden Blättern“ gaben. Nur einige wenige von ihnen haben später Ruf bekommen, aber gerade von manchem Namen, den keine Literaturgeschichte kennt, waren Gedichte unterzeichnet, die wahre Perlen genannt werden müssen.

Und dieses Heer von Künstlern, die alle für die Fliegenden Blätter zeichneten! Da war Toni Muttenthaler, der jetzige artistische Leiter der Illustrirten Zeitung; aus wie viel hundert Zeichnungen tritt uns sein markiger, breiter und bequemer Bleistift entgegen! Da war der humoristische Carl Reinhardt mit seinen urkomischen Gestalten und Gruppen; da finden wir Stauber mit seinen graciösen Bildern aus dem Hochlande. Wie herrlich waren die feinen und zierlichen Skizzen von Schmolze, der, in die pfälzische Revolution verwickelt, ein dunkles Grab in England gefunden! Was hat Spitzweg für köstlich naive Sachen geliefert, und wer erinnert sich nicht der classischen Figuren des Winters, des Carnevals etc. vom großen Meister Schwind! Wie Viele könnten wir noch nennen, wie manchen herrlichen Holzschnitt, der da in den sechsundvierzig Bänden begraben liegt und bei dem kaum ein Anfangsbuchstabe, oft nur die Manier den genialen Künstler verräth, der ihn schuf!

Mit 1848 trat ein entscheidender Wendepunkt auch bei den Fliegenden Blättern ein; der Zauber der Romantik, der uns aus ihren vor 1848 erschienenen Bänden so übermächtig entgegenweht, diese unsagbare und doch so entschieden hervortretende specifisch süddeutsche Färbung, die namentlich für uns Norddeutsche einen so eigenthümlichen Reiz hatte, das Alles ist mit Einem Schlag verschwunden. Zwar waren die Fliegenden Blätter tactvoll genug, sich an ihr ursprüngliches Programm und aller Politik fern zu halten, aber die schwere, fried- und freudlose Zeit spiegelte sich auch in ihnen wieder und ganz konnten sie sich doch dieser Alles niederdrückenden, Alles bezweifelnden und benergelnden Stimmung der traurigen Reactionsjahre nicht entziehen. Aber wenn die Fliegenden Blätter auch ihren so eigenthümlich schönen süddeutschen Charakter unwiederbringlich verloren hatten, ihren Humor gewannen sie wieder; davon geben die dreißig und etliche nach 1848 erschienenen Bände rühmlich Zeugniß. Wir wollen nur einzelne der köstlichen Episoden aufzählen, deren sich jeder Leser der Fliegenden Blätter nur mit dem herzlichsten Lachen erinnern wird.

Die ganze Biedermeyer-Posie fällt uns zuerst ein – wer erinnert sich nicht der köstlichen Figuren des Biedermeyer, des Buchbinders Horatius Treuherz, des pensionirten Major Don Zips und ihrer herrlichen poetischen Erzeugnisse; wer hat nicht von Herzen gelacht über die geistreiche Mystification, welche dem „weiland Biedermeyer“ ein Gedicht der Goethe’schen Muse unterschob! Wir blättern weiter in den schönen Bänden; da schlagen wir das „Buch der Jahrtausende“ auf. Wo bleiben unsere Becker, Schlosser und Rotteck gegen diese geniale Art Geschichte zu schreiben und zugleich zu illustriren?

Blättern wir weiter, so sehen wir den „wohlangesehenen Bürger Graf aus Pirna mit seinem Sohn Fritzchen und seinem Freunde, dem berühmten Maler Kohle“, sich zur Reise rüsten. Gleich auf der ersten Reise erhält Fritzchen von seinem Vater arge Schläge, weil er als Resultat des Auftrages, die Stationen von Hof nach München niederzuschreiben, einen längeren Zettel mit den classischen Bezeichnungen „für Männer“, „für Frauen“ mit einigen wenigen Variationen hervorbringt.

Schlagen wir einen neuen Band auf, so fällt unser erster Blick auf die der Nummer Tausend. Das war ein seltenes und großes Fest für ein wöchentlich einmal erscheinendes humoristisches Blatt! Tausend Wochen – ein halbes Menschenalter – mußten als Jubiläumsfeier für die Fliegenden Blätter gelten. Einer, der am wackersten mitgearbeitet, daß die Nummerzahl bis Tausend anschwellen konnte, dessen Augen mit ängstlicher Sorgfalt auf jedem dieser vielen Blätter geruht hatten, der am meisten mit interessirt war an dem Gedeihen des Unternehmens, der Miteigenthümer desselben, Friedrich Schneider, sollte das schöne Fest nicht mehr erleben – nicht lange vorher war er zum ewigen Frieden entschlafen. An seine Seele war ein wackerer Künstler Eduard Ille getreten, dessen markigem Humor und bedeutungsvollen Zeichnungen wir von nun an öfter begegnen. Wie dieses Jubiläumsfest privatim im Hause von Braun und Schneider am Dultplatz gefeiert worden ist, ob viele gute Weine dabei getrunken und viel schlechte Reden dabei gehalten worden sind, wissen wir nicht, es kann uns auch nicht kümmern, aber die öffentliche Feier ist eine so höchst originelle und denkwürdige für die ganze Geschichte der Fliegenden


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_542.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)