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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Hast Recht, Franzi,“ entgegnete der Bauer, „ich hab’ Dir nit nachgeschickt – ich hab’ mir denkt, wer so leicht und so geschwind und so ohne B’hüt Gott fortgeht aus dem Haus, in dem er auf’zogen worden ist, der will eben nit bleiben und wird wohl wissen, warum er nit will, und den muß man nit aufhalten… Aber nachgefragt hab’ ich Dir wohl und hab’s erfahren, wie Du Dich als Dirn’ beim Gruber verdingt hast, und jetzt, daß Du … Aber das laßt sich jetzt Alles gut machen und ändern… Gieb’s auf, eine Kellnerin sein … werd’ wieder eine richtige Bauerndirn’ und komm wieder zu mir auf den Aichhof…“

Sie sah wieder zu Boden und sagte nichts, aber sie schüttelte den Kopf so entschieden, als gelte es, etwas von sich abzuweisen, wovon schon der bloße Gedanke sie erschreckte.

„Mußt nit trutzen und nachtragerisch sein,“ fuhr Sixt fort, „auf eine ehrliche Red’ gehört sich eine redliche Antwort… Komm’ wieder auf den Aichhof, er ist ja doch Deine Heimath…“

Der Ton des Redenden war etwas herzlicher geworden; Franzi zögerte mit der Antwort, die ihr schwer zu werden schien. „Gewiß, gewiß ist dort mein’ Heimath, mein’ liebe gute Heimath,“ sagte sie, ihre Bewegung niederkämpfend, „aber wieder hingeh’n … nein, das geht einmal nit an … ich kann nit, Sixt…“

„Hat Dir Jemand sonst noch was zu Leid gethan?“

„Keine Menschenseel…“

„So sag’ doch wenigstens, warum? Warum willst nimmer auf den Aichhof?“

„Ich kann nit und ich kann’s auch nit sagen!“

„Aha, wieder ein Geheimniß! Na, so behalt’s, ich will mich nit eindrängen in Deine Heimlichkeiten, ich hab’ das Meinige ’than und hab’ Dir die Hand hingestreckt; wenn Du nit einschlagst, ist es Deine Sach’, Du wirst wissen, was Du auf dem Herzen hast, so schau auch, daß Du allein fertig wirst damit… Mir wär’s eine Freud’ gewesen und ist mir jetzt ein großer Verdruß! Es ist kein Verlaß mehr mit den Dienstboten und Ehhalten … auf einem so großen Hof thät mir eine vertraute Person Noth, die eine solche Hauserin und tüchtige Schafferin wär’, als wie Du…“

Der freundliche Ton und das Drängen des Bauers hatten schon angefangen, Franzi’s Herz zu erweichen; die letzten Reden stählten es wieder, wie im Frühling ein kalter Windhauch den vor einem einzelnen Sonnenblick geschmolzenen Schnee mit einer neuen Eiskruste überzieht. Schon hatte sie angefangen zu glauben, es sei irgend ein wärmeres Gefühl, was den Bauer bewege, in sie zu dringen – eine Erinnerung an den Willen der guten alten Pflegeeltern, ein Andenken aus den Tagen der Kinderzeit – da verriethen ihr seine letzten Worte: nur der Eigennutz hatte ihn hergeführt; nicht der Jugendfreund war es, der nach der Ziehschwester verlangte, sondern nur der reiche Bauer, der die tüchtigste Magd suchte.

„Ich kann nit, Sixt,“ sagte sie, um Vieles kühler und entschiedener, „ich kann Dir auch nit sagen, warum … mußt mich nit plagen…“

„Plagen?“ rief er auffahrend und auf der Stirn schwoll ihm die Zornader unter dem braunen Kraushaar. „Fallt mir nit ein! Wenn’s Dir wie eine Plag’ ist, sobald Du vom Aichhof hörst, dann ist’s das letzte Wort gewesen, das Du von mir gehört hast – betteln thut der Aichbauer bei kein’ Menschen, und wenn’s der König wär!“

(Fortsetzung folgt.)




Ein junger Jubilar.


Man ist längst darüber einig, daß sich in der Literatur der Geist und das Leben einer Nation am unmittelbarsten und deutlichsten ausprägen. Die Literatur ist gleichsam das Geschwisterkind der Geschichte und weist jeder Zeit eine gewisse Familienähnlichkeit mit dieser auf, ja, sie theilt auch meist deren Geschicke, ist in alle ihre Triumphe und Niederlagen verflochten. In der Literatur vernimmt man so zu sagen das Herzklopfen der Geschichte, gewahrt man ihr freudiges Erröthen, ihr zaghaftes Erbleichen, den jubelnden Aufschrei der Thatenlust, den Mark und Bein erschütternden Schmerzlaut nationaler Verzweiflung.

Mit Goethe und Schiller hat unsere Literatur überdies zwei Genien erhalten, von denen sich nicht mit Unrecht behaupten läßt, daß sie in ihrer Vereinigung gewissermaßen den Janustempel unseres Volkes abgeben. Wie im alten Rom nach Numa’s Verordnung dieser Tempel bei dem Anfange eines Krieges geöffnet wurde und, so lange der Krieg dauerte, offen blieb, im Frieden aber geschlossen ward, so läßt sich auch in Deutschland gleichsam Krieg und Frieden an der Vogue und Gunst des einen oder des andern dieser Genien erkennen. Goethe ist der Genius des Friedens, sein Geist und Ruhm erfüllt die Deutschen in innerlichen Entwicklungsperioden, in Kunstepochen; der von Schiller steigt empor in Bewegungszeiten, in historischen und politischen Phasen; er ist der Genius des Kampfes. Seine Muse ist kriegerisch gezeugt; sie hat etwas von dem Commandowort und der Geste des Feldherrn. So oft die deutsche Nation geschichtlich ihre Zelte abbricht und weiter zieht, um die Himmelsgegend der Freiheit zu suchen, so oft auch tritt Schiller’s Dichtung an ihre Spitze und erfüllt sie mit ihrem Schwung und Pathos, ihrem Stil und Impulse.

Das war auch wieder der Fall, als vor nunmehr gerade fünfundzwanzig Jahren ein damals neunzehnjähriger Jüngling mit seiner ersten Dichtergabe vor das deutsche Publicum trat. Der junge Poet war Rudolph Gottschall; er hat sich inzwischen längst einen Ehrenplatz unter den Stimmführern unserer modernen Poesie erworben, und seine zahlreichen Freunde und Verehrer gedenken den Tag, der seine fünfundzwanzigjährige überaus rege literarische Thätigkeit abschließt, als ein Fest dankbarer Anerkennung und Würdigung zu begehen.

Rudolph Gottschall ist am 30. September 1823 in Breslau geboren, wo sein Vater als preußischer Artillerie-Officier um jene Zeit in Garnison stand. Später an den Rhein versetzt, verlebte der Sohn seine erste Jugend in Mainz und Coblenz, besuchte hier die Gymnasien und versuchte sich frühzeitig in dichterischen und kritischen Productionen. Schiller und Jean Paul waren damals die Lieblingsdichter des aufschießenden Jünglings, und diese Neigungen motiviren sich zumeist wohl aus der Familien- und landschaftlichen Umgebung Gottschall’s. Die Rheingegend mit ihren Burgen, rebenumkränzten Ufern, großen Sagen und Erinnerungen weckte, besonders in hellen Mondscheinnächten und bei verschleierten Sonnenuntergängen, ein gewisses sentimentales Naturgefühl in unserm angehenden Poeten, ein sentimentales Naturgefühl, das in Stunden der Dämmerung oder unter die Zauber lauer Sommernächte gestellt, sich in endlosen Wehmuthsschwelgereien und Thränengüssen Luft machen konnte. Daneben erzeugte die militärische Beschäftigung des Vaters im dichterischen Talent des Sohnes zugleich eine Vorliebe für das kriegerische Element und dadurch für Schiller, in dem gerade dieses Element vorzugsweise vertreten ist. Der junge Rudolph begleitete seinen Vater auf dessen Uebungsmärschen nach Coblenz, theilte mit ihm das Quartier auf den Dörfern und machte die gesammten Schießübungen der Artillerie bei Tag und Nacht mit durch. Frische Bilder aus dem Soldatenleben, ein munterer Zeltlagerton, die Feuerkugeln und Bomben sind der Muse unseres Dichters von damals in beständiger Erinnerung geblieben. Von damals hat sie auch einen gewissen martialischen Zug und die Neigung behalten, sich zu Zeiten mit einer etwas herausfordernden Miene den Bart zu streichen. Es harmonirte das mit dem veränderten Zeitgeist. Die ganze Sturm- und Dranglyrik von 1848 hatte schon seit geraumer Zeit ihre gesattelten Musenrosse im Vorhofe der Literatur, in der Journalistik stehen. Georg Herwegh setzte bereits den einen Fuß in den Steigbügel.

In diesem Momente wagte sich Rudolph Gottschall mit jener ersten eigentlichen Dichtergabe, den „Liedern der Gegenwart“ in die Oeffentlichkeit und zwar von Königsberg aus, wo er, nachdem sein Vater 1839 den Abschied genommen und sich nach dem ostpreußischen Städtchen Rastenburg übersiedelt hatte, seit 1841 als Studiosus der Rechte der Universität angehörte. In Königsberg warf dazumal der Liberalismus hohe Wogen. Die „Hartung’sche Zeitung“ stand mit ihren Leitartikeln an der Spitze der Bewegung; Johann Jacoby war der Mann des Tages, Ludwig Walesrode

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 596. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_596.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2017)