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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


glauben, daß sie noch nach dem 9. November Briefe von ihm hatte. Dann mußte sie aber so bestimmt wissen, wie wir es heute wissen (unter Anderm auch aus Windischgrätz’ Munde), daß der Vater wirklich todt war. Sie mußte dies wissen, sage ich, da die siegreiche österreichische Camarilla, so oft sie in der Geschichte auftrat, noch niemals einer solchen Heldenthat, wie sie an meinem Vater verübt wurde, sich zu schämen für nöthig hielt, nicht einmal ihren Feinden gegenüber, geschweige denn vor ihren Freunden!

Und selbst, wenn sie zwar mit Windischgrätz correspondirte, von ihm aber keinen Brief nach dem 9. November, keine directe Nachricht über das Schicksal des Vaters empfangen hatte – dann war es wiederum mindestens ein frevelhaftes Spiel mit der schwer errungenen Gemüthsruhe einer unglücklichen Frau, wenn die Gräfin Kielmansegge in solch’ apodiktischer Weise das Leben eines Todten behauptete und diese Behauptung doch mit nichts stützen konnte! – Was die Gräfin darüber hinaus für Zwecke verfolgte, ob sie, wie unsre Freunde damals bestimmt aussprachen, beabsichtigte, unsre Erziehung in die Hände des Ordens Jesu zu spielen, dem sie notorisch angehörte – darnach zu grübeln haben ich und die Meinigen uns nie gesehnt. Im Gegentheil, wir haben ihr längst vergeben, der merkwürdigen Frau auf dem „Schlosse“ im Plauenschen Grunde, und wünschen ihrer Asche von ganzem Herzen den Frieden, den sie in ihrem Leben schwerlich besessen hat.

So bin ich denn meinen Lesern blos noch Rechenschaft darüber schuldig, warum ich dem Spruche: „Von den Todten nur das Gute!“ nicht Rechnung trug und diese Thatsachen überhaupt veröffentlicht habe.

Es geschah erstens deshalb, um das Licht der Wahrheit über diese dunkle Geschichte zu verbreiten, die, wie ich hin und wieder aus Fragen, die an uns gerichtet wurden, entnehmen mußte, mit oder ohne Absicht gefälscht und verdüstert worden war. Sodann aber, und das ist mein Hauptgrund, um einen modernen Beleg mehr zu liefern zu dem trefflichen Worte des römischen Dichters:

Timeo Danaos, et dona ferentes!
(Ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen.)




Die Pergola des Hotel Pagano.
Ein Reisebild von R. Waldmüller (Ed. Duboc).

Viele Reisende werden beim Anblick des schönen Bildes, welches diese Zeilen begleitet,[1] sich mit Vergnügen des Weinlaubenganges des Hotel Pagano auf der Insel Capri erinnern. Nicht daß ihre gewaltigen Säulen aus der marmor-verschwenderischen Kaiserzeit stammen: sie sind schlichtweg weiß übertünchtes Mauerwerk und weit jüngeren Datums als hundert erinnerungsreiche Trümmer ringsum. Auch der Palmen giebt es weit und breit auf Capri genug, wenn gleich wohl keine Diejenige des Signor Pagano an majestätischer Pracht übertreffen dürfte. Die Aussicht endlich ist zwar weit und fesselnd, aber weitere und fesselndere Umblicke findet der rüstige Wanderer an gar vielen Punkten dieser reizvollen Insel. Was der Pergola des Hotel Pagano ihren heimlichen Zauber giebt, ist, daß so ziemlich jeder Besucher Capri’s vor seinem Scheiden noch einmal dort rastete und mit den genossenen Eindrücken hier dankbar abschloß.

Für mich knüpft sich allerdings an diese Pergola noch eine Erinnerung anderer Art, und das Bild hat dieselbe mir von Neuem in lebhaften Farben zurückgerufen.

Wir waren an einem goldnen Julitage mit einer munteren Reisegesellschaft von Sorrent nach Capri herübergeschifft und hatten wie billig zuerst der blauen Blume der Romantik, der unvergleichlichen Grotte, unsern Bewunderungszoll abgetragen.

Nachmittags ging es nach Anacapri hinauf, dem Hochplateau der Insel, fünfhundertundsechszig wohlgezählte Stufen. Wie allenthalben um den Golf von Neapel sind die Häuser hier nach griechischer Art mit flachen, weißlichen Dächern versehen, deren Mitte sich auch wohl bei einem oder dem andern zu einer sanften Kuppel erhebt. Eine bezauberndere Umschau als von diesen Dächern aus möchte aber weit und breit nicht wohl aufzufinden sein, es sei denn, man klettere bis auf die Trümmer des Castells Barbarossa hinauf. Ein gutes Auge überblickt, im Halbkreise wandernd, nicht nur den ganzen bunten Golf mit den Inseln Ischia und Procida, dem langgestreckten Neapel, dem dampfenden Vesuv und dem vielzackigen Kalksteingebirge, das mit weiß herüberblinkenden Ortschaften an seinem meerumspülten Fuß den Halbkreis schließt; es entdeckt jenseits dieser pittoresken Felsenzunge noch den freundlichen Meerbusen von Amalfi und über diesen hinaus auch noch die blau verdämmernden Berglinien des erinnerungsreichen Pästum.

So wird denn begreiflicher Weise ein gut Theil der Tagesgeschäfte Anacapri’s auf den Dächern abgethan. Wir sahen dort Wäsche bügeln, Kinder wiegen, Haare strählen, Weizen dreschen, Hanf zum Trocknen ausbreiten, Rosinen, Feigen und Apfelsinen dörren, Netze flicken, Körbe flechten und was sonst den Weibern einer Fischerbevölkerung noch an häuslichen Verrichtungen zufällt. Auf dem letzten Dache des Ortes saßen zwei in Trauer gekleidete junge Frauen, Beide mit dem Besticken eines blauseidenen Gewandstücks beschäftigt, wie man deren wohl der Madonna oder einer andern Schutzpatronin zur bessern Unterstützung eines Anliegens verehrt. Sie blickten kaum von ihrer Arbeit auf und unterschieden sich dadurch sehr vortheilhaft von einem unten in der Hausthür stehenden und überlaut lachenden Weibe, das hinter seinem breiten Rücken einen Männerhut von Stroh versteckt hielt und dem danach Suchenden, einem etwa fünfundzwanzig bis dreißigjährigen jungen Mönche, alle denkbaren Streiche spielte. Unser Cicerone, welcher die unfeine, übrigens recht hübsche Frau vertraulichen Tons als Donna Agata ansprach, machte der Sache ziemlich eigenmächtig ein Ende, und der wieder zu seinem Hut Gelangte – man rief ihm „Fra Arcangeli!“ nach – schloß sich uns an. Er trug eine Art schwarzen Klosterhabits, dazu braungelbliche Sandalen und seinen schmalen Kopf bedeckte jener breiträndrige Hut von wettergebräuntem Reisstroh. Sein Bart war ein gut Theil lichter als das lange nußbraune Haupthaar und reichte fast bis auf die graue Hanfschnur hinab, welche die Hüften des freundlich lächelnden Mannes umgürtete. Besonders eigenartig war die Farbe seiner Augen, etwa wie ein stumpfes Marmorgrau. Durch lange schwarze Wimpern beschattet und von feinen Brauen überwölbt, wirkten sie trotz ihrer matten Farbe bedeutend und charakteristisch, eine Wirkung, die freilich, sobald er redete, nicht Stich hielt.

Daß der sonderbare Mann nicht ganz klaren Geistes war – die harmlosen unter den sogenannten Pazzi läßt man im Süden ja frei umher gehen – war uns schon eine geraume Weile nicht zweifelhaft gewesen. Aber allem Anscheine nach bestand seine Störung einzig in seiner völligen Unfähigkeit, irgend eine Beziehung zwischen sich und den Vorgängen der Gegenwart zu empfinden. Er lebte im Mittelpunkte einer Begebenheit, die bereits vor einer Reihe von Jahren geschehen sein mußte, und wenn man diesen seinen Standpunkt erst heraus gefunden hatte, konnte man seine Reden kaum noch für wunderlich gelten lassen. Da ich nachträglich Gelegenheit gehabt habe, von kundiger Seite bis in die kleinsten Einzelnheiten berichtigen zu lassen, was von ihm unklar erzählt – denn er war sofort in’s Erzählen gekommen – oder aber von mir irrig verstanden worden sein mochte, so gebe ich nachstehend die Geschichte, wie man sie mir mitgetheilt hat. In wie fern der junge Mönch berechtigt war, sich als den Beichtvater der Betheiligten anzusehen, wird am Schlusse festzustellen sein. Der Säulengang selbst ist heute noch unverändert. Im Volksmunde hieß der Weingang damals einfach die Pergola; die Maler dagegen haben diese Pergola immer nur nach ihrem lebendigen[WS 1] Schmucke, der Palme, benannt.

Die französische Februarrevolution vom Jahre achtundvierzig hat bekanntlich im Königreiche beider Sicilien schon einen Monat früher vorgespukt. Jenseits des Faro, in Sicilien, war man der Gewaltherrschaft Biale’s satt und müde; diesseits des Faro, auf

  1. Wir verdanken das Bild der Güte des Herrn Alphons Dürr, der sich durch die Veröffentlichung des Prachtwerkes: „Die Insel Capri. In Schilderungen von F. Gregorovius, in achtzehn Bildern von K. Lindemann-Frommel“ ein Verdienst um Literatur und Kunst erworben hat. D. R.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: lebedigen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_043.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2021)