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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

In einem mir befreundeten Kreise war beschlossen worden, das Lustspiel „der König von sechszehn Jahren“ aufzuführen; mir war die Rolle Ludwig’s des Fünfzehnten zu Theil geworden, und nicht wenig freute ich mich, in der Generalprobe in einem reichen Rocococostum von rothem Sammet zu erscheinen. Ich konnte dem Wunsche nicht widerstehen, so besternt und bestickt wie ich war, dem Fräulein Fitchersvogel meine Huldigung darzubringen, und droschkete nach beendigter Probe, einen Mantel umgeworfen, Galoschen über die Schnallenschuhe, in den Thiergarten hinaus. „Melden Sie,“ flüsterte ich dem Diener zu, der mich erkannte, „den König von Frankreich.“ Einverstanden schmunzelte er, meldete jedoch nicht „den König“, sondern der Politik des Tages folgend den Kaiser von Frankreich, ohne sich durch meinen gepuderten Kopf stören zu lassen.

Ich blieb lange allein, so daß ich nicht wie mein Vorgänger Ludwig der Vierzehnte sagen konnte: j'ai faili attendre (ich hätte beinahe gewartet), sondern ich wartete wirklich. Es rauschte in den Nebenzimmern des großen Saales, in dem ich mich befand, Thüren gingen, leichte Schritte näherten sich, entfernten sich wieder, endlich trat Marialla etwas feierlich ein. „Ach, Sie sind es, Wildfang!?“ rief sie lachend; dann aber setzte sie ganz ernsthaft und wie sich von selbst verstehend hinzu: „wir glaubten nicht einen Augenblick anders, als daß Louis Napoleon incognito hier sei, um der Mutter ein Staatsgeheimniß anzuvertrauen; ist ihr ja oft Aehnliches passirt!“

Der Traum ihres Lebens war Goethe ein Denkmal zu setzen, zu dem sie selbst das Modell componirt hatte, welches im Balconzimmer ihrer Berliner Wohnung stand. Leider ist dieser Traum nicht so zur Wahrheit geworden, wie sie es ersehnte. Es wäre ihr zu gönnen gewesen, denn es war nicht Eitelkeit, welche sie zu diesem Werke antrieb, sondern wirkliche Begeisterung, und es ist keine Kunstfaselei, zu behaupten, daß jenes Modell die Eingebung eines Genius sei. In der That, die zeusartige, sitzende Statue, welcher eine breite, umfangreiche Terrasse zum grandiosen Piedestale dient, ist von unbeschreiblicher Wirkung selbst in so kleinem Maßstabe, und würde das nüchterne Standbild in Frankfurt glänzend überstrahlen. Zeichnen sich die Piedestalreliefs des letzteren durch die unbedeutendste Auffassung aus, so sind diejenigen Bettinens von übersprudelnder Genialität und, obgleich nur skizzenhaft angedeutet, der Ausführung eines gewandten Meisters würdig. Namentlich kühn und poetisch ist das eine, wo Goethe als Jüngling, eine nackte Idealgestalt, den Musen trunken in die Arme taumelt. „Hier ist er besoffen, des göttlichen Nektars voll,“ erklärte an jenem Abend die reich Begabte.

Nur die schmächtige, fragwürdige Psyche, diese dem ersten Blick des Beschauers unbegreifliche kleine Puppe, welche vor dem olympischen Dichter steht, „das Kind“, müßte weggelassen werden. Diese schadete auch damals der Aufnahme im Publicum ungemein; man sah in „diesem Kinde“ nur das persönliche Hinzudrängen von Bettina, spottete über diese Theilhaftigkeit an der Unsterblichkeit und erkältete sich auf der Stelle dagegen.

Der Bildhauer Steinhäuser führte bis jetzt nur den thronenden Dichterfürsten aus, der, im Park zu Weimar in einem Gartenhäuschen eingezwängt, gar nicht an seinem Platz ist. Bis zu ihrem Ende hoffte aber Bettina, Friedrich Wilhelm der Vierte, dem sie seit 1848 nicht mehr nahen durfte, werde sich mit ihr versöhnen und alsdann nicht säumen, das Denkmal ausführen zu lassen. Aber ils étaient passés ces jours de fête, wo der König an die neue Diotima schrieb: „Rebenentsprossene, Sonnenumflossene!“

Oft erzählte ein intimer Freund des Hauses, Freiherr von Haxthausen, ein seltsamer alter Herr, der lange im Kaukasus gelebt hatte, prächtige Spukgeschichten und tscherkessische Sagen von wilder hinreißender Schönheit und Volksthümlichkeit. Hermann Grimm, seitdem Marialla’s Gatte, wurde dadurch zu seinen zwei herrlichen Gedichten „die Schlange“ und „Aßly und Kiarem“ (das Liebespaar, das in gegenseitiger Umarmung verbrennt) angeregt. Unbegreiflich, diese beiden Romanzen, in denen echtes, heiliges Feuer glüht, sind ganz unbekannt geblieben und verdienten doch unter dem Schwungvollsten und Reizendsten moderner Poesie genannt zu werden. Varnhagen von Ense besuchte ab und zu den Theecirkel der alten Fee und ihrer jungen Töchter. Während seiner geistreichen, anziehenden Unterhaltung handhabte er eine seine Scheere, mit der er allerliebste Figürchen, Blumenbouquets, Landschaften, auch mitunter ein markirtes Profil in größter Meisterschaft ausschnitt. Kein angenehmerer Gesellschafter als er, zugänglich für Alt und Jung, mittheilend und belehrend. Ranke erschien sehr selten einmal, wenn er auf seinen weiten einsamen Spaziergängen den Thiergarten passirte. Dann scherzte er mit Marialla und dem kleinen Hofe duldsamer Jungfräulein, welchen sie gern um sich versammelte, wie ein possierliches Kind, und vom tiefen Historiker war nichts an ihm zu merken; alle Sprühteufelchen seiner lebendigen Phantasie wirbelten dann um ihn her, selten vermochte man einen davon einzufangen und genau zu betrachten, seine Gedankenblitze zerstiebten knatternd in der Luft, ohne daß man sich nachher auf sie besinnen konnte. Einst fragte er, sich in diesem jungen Kreise quecksilberartig bewegend, nach den verschiedenen Lieblingslectüren der jungen Damen, worauf denn gar sentimentale Geständnisse erfolgten: „Tieck’s Genoveva“, „Lamartine’s Raffael“ etc. Die schalkhafte Marialla war klüger und rief lachend, als die Reihe an sie kam: „Ranke’s Geschichte der Päpste!“ Der Verfasser des berühmten Werkes lachte überlaut, griff nach dem Hut und lief davon.

In den letzten Zeiten vor Bettina’s Ende, dem ein langes sehr schweres Siechthum voranging, traf ich eines Abends – der Thee wurde damals in ihrem eigenen Wohnzimmer genommen – einen freundlichen älteren Herrn, dessen lebhaftes Mienenspiel und einnehmendes Wesen mir auffielen. Trotzdem er fließend deutsch sprach, erkannte ich sofort in ihm den Italiener, Salvodi hieß er. Damals hörte ich den Namen gelassen an, saß dem amüsanten Manne harmlos gegenüber und lachte über seine fein maliciösen Scherze, nicht ahnend, daß ich einige Jahre später nicht einen Augenblick in demselben Zimmer mit ihm geblieben wäre, sondern ihn wie den ärgsten Feind gemieden hätte. Dieser Salvodi, so erfuhr ich lange nachher, war österreichischer Polizeiminister in Venedig, hatte Silvio Pellico dem Spielberge überliefert und unzählige Andere in’s Exil, in die Bleikammern, wohl gar auf das Schaffot geschickt. Wie kam er, den Varnhagen in den Tagebüchern vom Jahre 1851 mit Recht geißelt, wie kam er zu Bettina, die für die Gebrüder Grimm, Hoffmann von Fallersleben und Bruno Bauer Lanzen gebrochen hatte? Es war nur insofern zu erklären, als der Sohn Salvodi’s, Scipione, ein antik römischer Charakter, ein Mensch von Wissen und Gefühl, vom eigenen Vater abgefallen, als Verbannter in Berlin lebte und im Arnim’schen Hause freundschaftlich aufgenommen war. Vielleicht wollte Bettina Bekehrungsversuche mit dem alten Spion anstellen, vielleicht hat sie sogar die Versöhnung zwischen Vater und Sohn herbeigeführt, denn Beide sah ich am selben Abend friedlich nebeneinander. Trotzdem blieb Scipione nach wie vor in der Stadt der Intelligenz. Ist sein Vaterland doch erst seit Kurzem von der Fremdherrschaft befreit! Dieser junge Mann mit dem Falkenblick und der bereits kahlen Stirn hatte im Verein mit Friedmund von Arnim eine höchst merkwürdige Brochure geschrieben: „die Religion der Liebe“. Eine neue, bessere Welt zu schaffen, war ihr gemeinschaftliches Ideal.

Zur Zeit, wo die Manie des Tischrückens durch den Psychographen verdrängt ward, gab es große Versammlungen bei den Arnim’schen Damen, und Jeder sollte mit dem Instrumente experimentiren. Man denke, welch’ ein Unsinn dabei herauskam. Bettina stellte sich, als glaube sie allen Ernstes daran. Auf ihre Frage an den buchstabirenden Apparat: „wie heißt der Geist, der Dir innewohnt?“ setzte sich die Antwort „Mephisto“ zusammen. „Na, da habt ihr’s, Dummköpfe!“ rief sie. Ein ihr verwandter Gardeoberst und ein Abgeordneter des Landtages vermochten nicht ihr spöttisches Lachen zu unterdrücken. Wer aber schildert die betretenen Gesichter aller Anwesenden, als plötzlich der Psychograph sich in Bewegung setzt und buchstabirt: „Geh’ nach Hause, Officiersesel und Kammernarr.“

Gisela Arnim arrangirte oft Spaziergänge nach Charlottenburg, dabei ging es harmlos und anmuthig zu. Vor dreizehn Jahren war Berlin keine Weltstadt, keine Pferdeeisenbahn im Thiergarten, kein solch’ Gewimmel auf Schritt und Tritt, keine Corsofahrten, keine Modetyrannei. Einfach angezogen, einfach frisirt, ein Päckchen Kuchen unter dem Arm, so gingen „die Kinder berühmter Leute“ und ihre Adepten die grünen Alleen entlang nach Muskau’s Kaffeegarten, nachher an den Karpfenteich im Schloßgarten. Neulich kam mir ein Zettelchen aus jener Zeit in die Hand, ein Einladungsbilletchen Gisela’s zu solcher Wanderung in’s Grüne; das sonderbare Format erklärt sie mit der Aufschrift: „Der Brief ist

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_553.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)