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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Umtriebe und namentlich der deutschen Burschenschaft beschlossen.

Dem deutschen Michel, der (um mit den Worten seiner „wahrhaftigen Geschichte“ zu reden) an seiner neuen Livrée kein sonderliches Gefallen fand, weil sie nicht aus einem Zeuge geschnitten und über die Brust ihm viel zu eng war, – der auch bemerkte, daß man nach zwölf Lappen den dreizehnten völlig vergessen wolle, so daß er seine sämmtlichen Blößen nicht wohl bedecken konnte, – der deshalb Ursache zu haben glaubte, sich beschweren zu dürfen, ihm sollte ein fester, wohlschließender Maulkorb angelegt werden. Was half es, daß einzelne einsichtsvolle Staatsmänner ihre Indignation über diese Beschlüsse äußerten, daß der preußische Staatsminister Wilhelm von Humboldt sie „schändlich, unnational, ein denkendes Volk aufregend“, der würtembergische Staatsminister von Wangenheim sie „schamlos“ nannte? Im September darauf wurden doch diese Beschlüsse durch den Frankfurter Bundestag zum Bundesgesetz erhoben, und insbesondere wurde verfügt, daß mit aller Kraft und Strenge gegen die allgemeine Burschenschaft einzuschreiten sei, da diesem Vereine „die schlechterdings unzulässige Voraussetzung einer fortdauernden Gemeinschaft und Correspondenz zwischen den verschiedenen Universitäten zu Grunde liege“. Die Vertreter der deutschen Regierungen nahmen keinen Anstand, ihrem Bundestagsbeschlusse diese ebenso lächerliche als erbärmliche Motivirung zu geben. War auch damals, als es Fürst und Volk von napoleonischer Botmäßigkeit zu retten galt, die Gemeinschaft eine „schlechterdings unzulässige“ gewesen? Und war dies das verjüngte, kräftige, in Einheit gehaltene Deutschland, welches der Aufruf von Kalisch zugesichert hatte? O, das war ja nur ein Verzweiflungsruf gewesen, wer von den hohen Herren hätte sich dadurch von der gänzlichen Niederwerfung des erwachten Volksgeistes abhalten lassen sollen?! Ja, man ging noch weiter, man setzte die Central-Untersuchungsbehörde in Mainz ein, damit sie ganz Deutschland mit ihrem Netz überziehe, jeden Vaterlands- und Freiheitsfreund als einen dem Absolutismus gefährlichen Demagogen einfange und durch gehorsame Richter dem Zuchthaus, überliefere!

Dem Bundesbeschlusse mußte auch Weimar sich fügen. Eine Studenten-Deputation, A. v. Binzer an der Spitze, eilte von Jena nach Weimar und bat um Schutz der patriotischen Verbindung, konnte aber nur abschläglichen Bescheid erhalten. Von dort aus erging am 26. November 1819 der Befehl an den akademischen Senat zu Jena, die Burschenschaft aufzulösen. Noch an demselben Tage wurde der Befehl dem Vorstande der Burschenschaft eröffnet und von Letzterem sofort für den Abend die letzte Versammlung der Burschenschaft in den Rosensaal berufen. Die Versammlung war zahlreich, Alle in der gespanntesten Erwartung. Der Sprecher verkündigte die landesherrliche Verfügung. Stumm und lautlos hörte man sie an. Erst als die gepreßten Gefühle wieder frei geworden, da wollte des Umarmens und Weinens kein Ende nehmen. Der Vorstand gab den Empfindungen der Trauer und Wehmuth, welche Alle erfüllten, Ausdruck und verband damit beruhigende und Hoffnung erweckende Ansprachen.

Alle Anwesenden waren tief bewegt. Feierlich sang man das von E. M. Arndt gedichtete, von G. F. Hanitsch componirte Bundeslied, mit dem man vier Jahre zuvor, am 12. Juni 1815 im Gasthof zur Tanne in Jena die erste Burschenschaftsversammlung eröffnet hatte, das Lied: „Sind wir vereint zur guten Stunde etc.“

Dann beschlossen die Jünglinge als einen Ausdruck ihrer Dankgefühle für den bisherigen Schutz und zugleich als eine Rechtfertigung der Burschenschaft vor der deutschen Geschichte die nachstehende, von Robert Wesselhöft entworfene Adresse an den Großherzog Karl August. Sie ist für den wahren Geist und die unvergängliche große Bedeutung der Burschenschaft zu bezeichnend, als daß sie nicht wörtliche Aufnahme finden sollte. Sie lautete:

„Durchlauchtigster Großherzog!
Gnädigster Herr und Fürst!

Das Vertrauen, welches wir zu Ew. Königlichen Hoheit gewonnen haben, veranlaßt uns, zu glauben, daß wir es ungehindert wagen dürfen, auch jetzt noch unsere Gesinnung gegen Ew. Königliche Hoheit auszusprechen, wo wir zergliedert und losgerissen sind von den schönen Hoffnungen, welche wir in der Einheit und Eintracht eines geduldeten sittlichen Zusammenlebens in unsern jungen Herzen genährt hatten.

Es ist der Wille Ew. Königlichen Hoheit gewesen, die Burschenschaft aufzulösen. Er ist ausgeführt. Wir selbst erklären hiermit feierlich und öffentlich, daß wir dem Befehl strengen Gehorsam geleistet haben; wir selbst haben die Form zerstört, wie es uns anbefohlen war; wir haben niedergerissen, was wir nach bester Einsicht, nach reiflicher Prüfung mit arglosem unschuldigem Glauben und mit dem frohen Bewußtsein, etwas Gutes zu thun, aufgebaut hatten. Die Folgen hatten unserer Erwartung entsprochen. Ein sittliches freies Leben hatte sich gestaltet, zuversichtliche Oeffentlichkeit war an die Stelle schleichender Heimlichkeit getreten; wir konnten ohne Scheu und mit gutem Gewissen den Augen der Welt darbieten, was wir aus unserem innersten Herzen hervorgesucht und in die Wirklichkeit versetzt hatten; der Geist der Liebe und der Gerechtigkeit hat uns geleitet, und die bessere öffentliche Stimme hat bis auf die neuesten Zeiten unsere Bestrebungen gebilligt.

Tief in das Leben des Einzelnen hat der Geist eingegriffen, der uns vereinigt hatte. Es ist von dem Einzelnen begriffen, wie der deutsche Jüngling zum Andern stehen müsse. Das Recht des Stärkeren war in seiner veralteten Form vernichtet. Sittlichkeit war die erste und letzte Triebfeder unseres vereinigten Handelns. Unser Leben sollte eine Vorschule des künftigen Bürgers sein. Ew. Königlichen Hoheit ist dieses nicht entgangen, und die zwiefache Auslieferung unserer Papiere hat nach unserem besten Wissen kein anderes Resultat liefern können.

Jetzt ist die Schule geschlossen. Jeder geht hinweg mit dem, was er in ihr gelernt hat; er wird es behalten, und es wird in ihm fortleben. Was als wahr begriffen ist vom Ganzen, wird auch wahr bleiben im Einzelnen. Der Geist der Burschenschaft, der Geist sittlicher Freiheit und Gleichheit in unserm Burschenleben, der Geist der Gerechtigkeit und der gegenseitigen Liebe zum Vaterland, das Höchste, dessen Menschen sich bewußt werden mögen, dieser Geist wird dem Einzelnen inwohnen und nach dem Maße seiner Kräfte ihn fortwährend zum Guten leiten.

Das aber schmerzt uns tief: einmal, daß uns die Wirksamkeit genommen ist auf die, die nach uns kommen werden, das andere Mal, daß unser Streben verkannt und öffentlich verkannt ist. Wahrlich, schmerzlicher konnte man uns nicht verwunden! Nur das gute Bewußtsein[WS 1] in unsrer Brust kann uns lehren, daß unsre innere Ehre Niemand vernichten kann, und uns die Mittel zeigen, wie wir dieses Unrecht verschmerzen.

So bloßgestellt jedem Urtheil, überlassen wir es der Zeit, uns zu rechtfertigen, und geben gern dem Trost in uns Raum, daß es wenigstens eine Zeit gegeben hat, wo unsere Bestrebungen selbst von unserm edlen Fürsten und Herrn nicht mißkannt worden sind. Nichts wird die Liebe zu ihm ändern, und eine bessere Zeit gestattet uns vielleicht dereinst, sie ihm dankbar an den Tag zu legen.

Mit heißen Wünschen für unser Vaterland und für das Wohl Ew. Königlichen Hoheit unterzeichnen wir uns in unwandelbarer Liebe als

Ew. Königlichen Hohen

getreueste Diener

Die Mitglieder der ehemaligen Burschenschaft.“

Fürwahr, eine wahrere, würdigere Gedächtnißrede bei der Bestattung der Burschenschaft hätte sich nicht denken lassen.

Noch einmal erscholl aus ganzem, vollem Herzen die Schlußstrophe des Bundesliedes:

Rückt dichter in der heil’gen Runde
Und klingt den letzten Jubelklang!
Von Herz zu Herz, von Mund zu Munde
Erbrause freudig der Gesang:
Das Wort, das unsern Bund geschürzet,
Das Heil, das uns kein Teufel raubt
Und kein Tyrannentrug uns kürzet,
Das sei gehalten und geglaubt!

Dann ging man in bewegtester Stimmung, aber still und ruhig auseinander.

Eine Anzahl innigst befreundeter Jünglinge, unter ihnen die bisherigen Vorstandsmitglieder, blieb aber noch in ernster Berathung zusammen. Die der Adresse an den Großherzog zu Grunde liegenden Ideen und Hoffnungen waren der Gegenstand der vertraulichen Verhandlung und fanden endlich ihren treuesten, wärmsten Ausdruck in dem einzig schönen, tiefgemüthvollen, an diesem Tage zum ersten Male gesungenen Liede des Vorstands-Mitgliedes August von Binzer:

Wir hatten gebauet
Ein stattliches Haus etc.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bewußsein
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_410.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)