Seite:Die Gartenlaube (1869) 717.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

und die strohgedeckten Bauernhäuser waren die malerische Staffage ihrer Spaziergänge und Landpartien.

Namentlich führten letztere sie oft nach einem Jagdschlößchen des Landesherrn von Bückeburg, Baum genannt, das einsam wie ein Falke in einer grünen Wildniß thronte. Hier hatte Herder gewohnt als Günstling des Feldherrn und Philosophen Wilhelm von Schaumburg-Lippe, und als Freund seiner liebenswürdigen Gemahlin, eines Fürstenpaares, das der alte Mendelssohn verehrt und geschildert hat in seinen Schriften. Ein Grabmal erhob sich über den vereinigten Särgen des durch eine glückliche Ehe und anbetende Liebe verbundenen Paares, es bildete einen Wallfahrtsort für alle schwärmenden Gemüther damaliger Zeit.

Auch die holde Pfarrerstochter nährte dort ihre jugendliche Phantasie mit Träumen von einer idealischen Ehe und ahnte nicht, daß sie sich nie erfüllen sollten. Die Erinnerung an das Jagdschlößchen Baum bei Bückeburg war eines der freundlichsten Bilder ihres einsamen Alters! Aber auch die andern schönen Punkte des Wesergebirges sah das junge Mädchen in Begleitung ihrer wohlhabenden Eltern, die, der damals schon verbreiteten Sitte gemäß, alljährlich einen Badeort besuchten. Das nahe Rehburg mit seinen unvergleichlichen Tannenwäldern und Wiesenmatten, das liebliche Eilsen, das in dem tiefen Thalkessel mit seinen rothen Dächern wie eine Schale frischer Aepfel in grünen Blättern sich ausnahm, und zuletzt auch das stolze Modebad von damals, Pyrmont, lernte Charlotte Hildebrand kennen.

In dem Lindendom der Pyrmonter Allee saß sie einst mit ihrem Vater auf einer Bank nahe an der kühlenden Fontaine, da setzte sich ein Jünglatg zu ihnen. Er hatte einen schlechten Rock, aber gute Manieren; er war häßlich, aber er sah geistvoll aus. Man wurde damals leichter bekannt in den Bädern, man war nicht so mißtrauisch wie jetzt gegeneinander, und binnen wenigen Minuten hatte das schöne junge Mädchen ihren Nachbar zu einem eingehenden philosophischen Gespräch begeistert. Sie lauschte auf seine Worte, als kämen sie aus einer bessern, bisher nur geahnten Welt, und er freute sich des lieblichen Ohrs, des holden Mundes, die. so verständnißreich hören und so anregend reden konnten.

Der Pfarrherr, ebenfalls von dem Jüngling bezaubert, den er für einen Göttinger Studenten hielt, lud ihn herablassend zum Mittagsessen ein, und man ging gemeinschaftlich in den Speisesaal. Dort enthüllte es sich denn, daß der feurige Redner allerdings ein Student aus Göttingen, aber ein sehr vornehmer, Wilhelm von Humboldt aus Berlin, war.

Es ist bekannt, daß er damals und auch später ein sehr unscheinbares Aeußere besaß; im besten Frack sah er noch aus wie ein Schneiderlein, grau, klein und dünn, wie mußte er sich erst in dem schlechten Reiseanzug ausnehmen! Aber die junge Freundin erkannte doch die innere Schönheit und sprach noch nach einem halben Jahrhundert von „der klaren Ruhe seines Wesens und von der wohlthätigen Wirkung seiner Unterhaltung, von dem tiefen, nie erloschenen Eindruck, von den geheiligten Empfindungen“, die er in ihr hinterlassen hatte.

Drei glückliche Tage eines freien, unbeschäftigten Badelebens, in dem man jetzt die dreidoppelte Stundenzahl anderer Tage besitzt, flossen dem jungen Mädchen im ununterbrochenen Verkehr mit Wilhelm von Humboldt dahin. Er schrieb ihr nach damaligem Gebrauch eine pathetisch-zärtliche Sentenz in ihr Stammbuch und reiste ab, ohne ein Wort von Liebe geredet zu haben, obwohl sein ganzes Herz durchglüht schien von dem seelischen Liebreiz der Pfarrerstochter. Sie selbst fühlte sich unendlich bereichert im Innern und pflegte noch mehr als sonst eine schwärmerische ernste Stimmung in sich; sie war zu bescheiden, zu echt weiblich demüthig, um irgend eine Hoffnung auf eine nähere Verbindung mit dem vornehmen, geistig bedeutenden Jüngling zu hegen, in dem ihr liebevoller Scharfblick schon den einst berühmten Mann erkannte. Sie verschloß „die vorübergegangene schöne Erscheinung in das Allerheiligste ihres Innern und sprach nie darüber, sicherte sie so vor Entweihung durch fremde Berührung“.

Diese Begegnung fand am 16. Juli 1786 statt. Humboldt hatte die Absicht ausgesprochen, im Herbste das Pfarrhaus zu besuchen. Er kam aber nicht, sondern blieb länger als er wollte in Pempelfort bei Jakobi, dem damaligen Sammelplatz großer Geister. Wie mag das junge Mädchen sehnsüchtig geharrt und in dem kleinen Garten, wo Rosen und Gemüse durcheinander wuchsen, nach dem Seelenfreund ausgeschaut haben! Sie beschreibt einmal gelegentlich ihr Vaterhaus und seine hübsche idyllische Lage im Grünen; ein Bächlein rauschte an der Gartenhecke vorüber und ein schwankender Steg führte in einen Wiesengrund von Gebüsch umgeben. Dorthin lenkte das junge Mädchen am liebsten die Schritte, wenn es allein sein und träumen wollte. Die Herbstnebel wallten wie Schleier im Mondenschein und zauberten Ossian’sche Bilder vor die Augen der holden Schwärmerin. Sie las ihr Stammbuchblättchen im stillen Kämmerlein wehmüthig durch:

     „Gefühl für’s Wahre, Gute und Schöne adelt die Seele und
beaeligt das Herz, aber was ist es, selbst dieses Gefühl, ohne eine
mitempfindende Seele, mit der man es theilen kann!
     Pyrmont, 1788.   Wilhelm von Humboldt.“

Aber die „mitempfindende Seele“ blieb aus! Statt dessen kam ein Doctor Diede und warb dringend um die hübsche, wohlhabende Pfarrerstochter. Sie hätte ihm gern einen Korb gegeben, aber ihre Eltern fanden an ihm nichts auszusetzen und verlangten streng ihr Jawort. Es gehörte in früheren Zeiten gewissermaßen zum Anstand, die Töchter recht früh zu verheirathen, und jede rechtschaffne Mutter hielt es für eine häusliche Schmach, wenn sie dieselben lange bei sich behalten mußte. Wie mancher Mädchentraum ist und wird von einem unwillkommenen Freier zerstört!

Als Frau Doctorin Diede zog die kaum zwanzigjährige Charlotte in Cassel ein; sie erzählte dies Ereigniß mit den melancholischen kurzen Worten: „Ich wurde verheirathet im Frühling 1789, lebte nur fünf Jahre in dieser kinderlosen Ehe und ging keine zweite ein.“

Nur drei Jahre später verheirathete sich auch Wilhelm von Humboldt mit einer reichen Erbin, Fräulein von Dachröden, die als geistreiche Schönheit, obwohl sie etwas verwachsen war, viele Männer bezauberte, unter Anderen auch den Baron von Burgsdorf, den Baron von Senfft-Pilsach u. A. m. Jedoch lebte sie in einer durchaus glücklichen und harmonischen Ehe mit Humboldt, dem sie zwei Söhne und drei Töchter schenkte. Er sprach stets mit der höchsten Achtung und Liebe von ihr; sein Zeugniß scheint uns ausreichend, um die Verleumdungen zu wiederlegen, die bald laut, bald leise sich gegen sie erhoben haben.

Die Ehe der Doctorin Diede wurde nach fünfjähriger Dauer geschieden; sie war ohne Neigung in diese Ehe eingetreten und glaubte sich deshalb berechtigt, dieselbe aufzulösen, ein moralischer Irrthum, den sie schwer büßen sollte!

Der jungen Frau war die Fessel der Ehe besonders drückend erschienen, weil sie eine romantische Neigung empfand für einen hessischen Edelmann; sie hoffte, er würde sie durch eine eheliche Verbindung für das Opfer ihres Rufes und für das öffentliche Aergerniß, welches ihre Ehescheidung gab, entschädigen, aber sie hatte sich in ihm getäuscht. Er war eine rohe Natur, er verlachte ihre sentimentale Liebe und heirathete später seine Haushälterin.

Durch ihre Scheidung war die Doctorin Diede um die sichere Stellung als Frau gekommen, und in den Kriegsjahren unter Napoleons Joch verlor sie auch ihr ganzes Vermögen. Sie lebte einige Zeit in Braunschweig, wo der mildherzige Herzog ihr einen Ersatz für ihre Verluste versprach, allein er konnte seine gute Absicht nicht ausführen, er fiel bei Waterloo. Ohne alle Hülfsmittel, nicht mehr jung, kränklich und verlassen, war die Doctorin Diede der Verzweiflung nah und sah kein einziges Hülfsmittel als erreichbar vor Augen.

Da fand sie in den Zeitungen den Namen Wilhelm von Humboldt lobend erwähnt, der als Bevollmächtigter des Königs von Preußen beim Congreß in Wien thätig war. Die theure Erinnerung an die drei glücklichen Tage in Pyrmont gab ihr den Muth, sich in ihrer großen Noth an den jetzt berühmten, mächtigen Mann zu wenden. Sie begann unter Herzklopfen und Thränen folgenden Brief: „Nicht an Eure Excellenz, nicht an den königlich preußischen Minister – nein, an den unvergessenen, unvergeßlichen Jugendfreund schreibe ich, dessen Bild ich eine lange Reihe von Jahren verehrend im Gemüth bewahrt habe, der nie wieder von dem jungen Mädchen hörte, das ihm einst begegnete, mit dem er drei fröhliche Jugendtage verlebte in jenen schönen Gefühlen, die uns noch spät in Erinnerung beseligen und erheben. Der Name, auf den die Welt jetzt mit so großen Erwartungen blickt, der Platz, auf den Sie so früh durch geistige Begabung gestellt sind, machte es mir nicht schwer von Ihnen oft zu hören und Sie mit meinen

Gedanken zu begleiten … Ich habe das liebe Blättchen unter

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_717.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2022)