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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

auf der neben dem Flusse herlaufenden Eisenbahn, welche mit großen Spiegelscheiben versehen sind, ermöglicht dem Reisenden, auch mittelst der Eisenbahn die landschaftlichen Schönheiten der Gegend zu genießen – eine Einrichtung, deren Einführung unseren rheinischen Eisenbahnen sehr zu empfehlen sein dürfte. Freilich ist der Naturgenuß in Amerika unzertrennlich von einem Kunstgenuß, den man glücklicherweise in Europa mehr oder weniger entbehren muß, ein Genuß, der unwillkürlich an die berühmte Geschichte von Kieselack erinnert. Denn so, wie es Kieselack verstand, seinen Namen überall und selbst an den unzugänglichsten Stellen der Erdoberfläche anzubringen, so verstehen es die amerikanischen Maler oder Weißbinder, nicht blos alle Straßenecken oder Bretterschuppen, sondern gewissermaßen die ganze Natur mit den widerwärtigen Anzeigen der New-Yorker Shopkeeper oder Pflasterschmierer zu beklecksen.

In riesengroßen Buchstaben und in allen möglichen Farben und Verzierungen prangen diese Anzeigen an allen Wegen, Straßen, Zäunen, Abhängen und selbst an den scheinbar unzugänglichsten Felsenklippen. Der Matador dieses Anzeigenhumbugs scheint gegenwärtig der glückliche Erfinder oder Besitzer des nach seiner Meinung weltberühmten Centaur-Liniment zu sein; und man kann sicher sein, auf allen Wegen und Stegen in und um New-York diesem Centaur-Liniment an jedem Punkte zu begegnen, der nur die leiseste Möglichkeit bietet, eine in die Augen fallende Inschrift auf demselben anzubringen. Auch dieses Recht eines halbverrückten Kerles, in seinem persönlichen Interesse die halbe Natur zu verklecksen, deren Schönheiten doch wohl für Alle da sein sollen, gehört hier zum Wesen der persönlichen Freiheit, welche aber im Grunde nur möglich ist durch die grenzenlose Lammsgeduld aller Uebrigen.

Lassen Sie mich diesen Brief mit der Erzählung einer netten Anekdote beschließen, welche zeigt, daß die berühmte Smartneß der Amerikaner (ein Ding, wofür wir im Deutschen keinen Ausdruck besitzen) sich auch in religiösen Dingen geltend zu machen versteht. Als ich in Hudson-City, einer auf dem linken Ufer des Hudson New-York gegenüber, auf einer langhingestreckten Anhöhe gelegenen Schwesterstadt New-Yorks, in welcher sehr viele Deutsche wohnen, und von deren Höhen herab man einen prachtvollen Blick über New-York und seine Umgebung genießt, eine Vorlesung hielt, waren die Gemüther der Bewohner dieser guten Stadt noch aufgeregt über den Schurkenstreich eines angeblichen Dieners Gottes, welcher zur größeren Beförderung der Frömmigkeit eine Sonntagsnachmittagsbetstunde eingerichtet hatte. Während nun die Gläubigen um ihn versammelt waren und seinen frommen Worten lauschten, erbrachen seine Spießgesellen die Häuser der in der Betstunde Anwesenden und raubten sie aus. Ging die Sache nicht schnell oder glücklich genug von Statten, so empfing der Mann Gottes durch die Fenster des Betsaales gewisse Zeichen, welche ihn veranlaßten, die fromme Andacht bis zu dem glücklichen Austrage des Geschäfts zu verlängern. Bekam er endlich Nachricht, daß Alles gelungen sei, so entließ er mit einigen salbungsvollen Worten sein fromme Herde, welche keine Ahnung davon hatte, wer ihr den feinen Streich gespielt hatte, bis ein Zufall die Sache an das Licht brachte.

Auch an Klöstern, Mönchen und Nonnen, diesen werthvollen Errungenschaften europäischer Vergangenheit, fehlt es in diesem freien Lande nicht; und wenn man den europäischen Mönchen des Mittelalters nachrühmt, daß sie es stets verstanden hätten, ihre Nester an den schönsten Punkten des Landes aufzubauen, so ist dieses eine Tugend, welche ihre amerikanischen Herren Collegen auch heute noch auszuüben verstehen. Als ich vor einigen Sonntagen bei Friedrich Lexow, dem Herausgeber des weit verbreiteten „Belletristischen Journals“, auf seinem schönen Landsitze in Union-Hill, der einen prächtigen Ausblick nach dem Festlande hin gewährt und mit seinen freundlichen Gärten, Wiesen und Wäldern ganz den Eindruck einer deutschen Landschaft macht, einen ruhigen Tag fern von dem Toben der Weltstadt zubrachte, gewahrte ich, ungefähr zwanzig oder dreißig Schritte von dem Hause entfernt, auf dem höchsten und schönsten Punkte des Höhenzuges ein neues, stattliches, etwas im mittelalterlichen Stile gehaltenes steinernes Gebäude. Als ich fragte, was das für ein Gebäude sei, erhielt ich zur Antwort: „Ein Kloster!“ – und als ich erstaunt weiter fragte: „Sind denn auch Mönche darin?“ so hieß es: „Freilich!“ Und ich verbesserte mich selbst in Gedanken, indem ich bereute, so dumm gefragt zu haben, und sagte zu mir: „Warum sollte es in Amerika keine Mönche geben, da ja hier das Princip der persönlichen Freiheit herrscht?“ Und damit leben Sie wohl bis zu meinem nächsten Briefe!




Blätter und Blüthen.


Am „alten abgelegten“ Claviere.[1] „Es war lange trüb’, sehr trüb’ um mich her, aber es wird heiterer!“ so lautet das Facsimile unseres Altmeisters Pestalozzi auf seinem Bilde, welches mein einfaches Stübchen ziert. Ich kann den Vordersatz aus tiefster Seele nachsprechen; paßt er doch auf meine Vergangenheit auch recht treffend und vollgültig; aber auch den Nachsatz – wenn auch nur in gewissem Sinne – kann ich nun mit unterschreiben!

Wer wüßte nicht ein Lied von der Noth der Lehrer zu singen? Mein Dasein gleicht dem vieler meiner Collegen wie ein Ei dem andern. Ich stehe im Vollgenusse des karg zugeschnittenen Minimalgehaltes im Regierungsbezirke Frankfurt an der Oder und habe davon (außer mir) Frau und sieben Kinder zu ernähren, zu bekleiden etc. Kann man da nicht mit Uhland sprechen:

„Daselbst erhub sich große Noth,
Viel Steine gab’s und wenig Brod!“

Denn bei wenig Brod mangelt’s uns nimmer an den Steinen des Anstoßes, des Kummers, des Aergernisses und der Bosheit! Wie aber soll man bei unserm Gehalte die Mittel erschwingen, um in dieser Trübsal den Geist und das Gemüth nicht schmachten zu lassen? O, auch wir arme Lehrer haben unsere Freude, hohe, tiefempfundene Freude, an einer reichhaltigen und gediegenen Bibliothek, an den Schätzen der musikalischen Literatur, an dem Labung und Trost spendenden Harmonienstrome eines Piano. Aber wie Wenigen von uns lacht das Glück, von all diesem Sehnen auch nur das bescheidenste Theilchen zu befriedigen! Es ist nur zu gewiß, unsere leibliche – und in natürlicher Folge – unsere geistige Noth ist noch nicht in vollem Maße weder von maßgebenden Autoritäten, noch von der großen Masse unseres Volkes gekannt, und warum? Weil man diese Noth selbst durchgekostet und durchgerungen haben muß, um ihre Größe zu erfassen und zu würdigen.

Doch, Gott Lob, es giebt immer noch hochherzige, von lauterster Liebe zu unserem Stande durchdrungene Männer- und Frauenseelen, die hier und dort im weiten deutschen Vaterlande manches Lehrerherz trösten, aufrichten und mit neuen Hoffnungen erfüllen. Von solchen Blüthen echter Menschenliebe hat die Gartenlaube schon so oft erzählt. Ich kann abermals eine solche Blüthe verzeichnen!

Es war am 3. September d. J., als mir durch die Redaction der Gartenlaube die köstliche Nachricht – für mich eine wahre Siegesdepesche – zuging, es stünde für mich durch die Güte einer Dame, die nicht genannt sein wolle, ein Instrument zur Verfügung und möchte ich u. s. w. War das Traum, war’s Wirklichkeit? Soll ich meinen damaligen Jubel beschreiben, schildern das helle Aufjauchzen meiner Kinderschaar und die Freudenthränen meines an Kummerthränen so reichen treuen Weibes? Das kann keine Feder zeichnen, kein Pinsel malen! Genug, die Botschaft machte unser Haus zu eng; nicht die Herzen allein, nein das ganze „schulmeisterliche“ Haus hüpfte vor Freuden.

Aber nun kam eine Zeit stillen Harrens, eine Geduldsprobe, zu der uns, wie so manchen Harrenden, die „Anhaltische Bahn“ verurtheilte: denn das heißersehnte Piano ließ fünfzehn – für uns unendlich lange – Tage auf sich warten, und doch wußten wir, daß es auf der Reise sein müßte. Bereits hatten wir das erforderliche „Quartier“ dem lieben Angebinde angewiesen, und – diese Stelle sollte leer bleiben? Wie eilten unsere Augen und Herzen dem Briefboten täglich entgegen, der uns Kunde bringen sollte von der glücklichen Landung unseres Sorgenbrechers!

Und so saßen wir abermals an einem Sonnabende – der Tag ging zu Rüste – in Gedanken über unser vergebliches Hoffen versunken; der Briefbote hatte wie gewöhnlich mit dem Kopfe geschüttelt; leer war die Stätte für „der Töne Reich“ geblieben: – Da, horch! „Was hör’ ich draußen vor dem Thor?“ Ein schweres Fuhrwerk rasselt heran und herein stürmt meine kleine Schaar mit „Trompetengeschmetter“: Pianino, Pianino!


  1. In Nr.  22 der Gartenlaube ließen wir auf die Bitte eines armen braven Lehrers die Nachfrage nach einem etwaigen „alten abgelegten Clavier“ abdrucken, nicht ganz unbesorgt über die Aufnahme derselben in unserm Leserkreise. Aber schon in Nr. 31 konnten wir über einen Erfolg jener Anfrage berichten, wie ihn schwerlich Jemand im ersten Augenblicke erwartet hatte. In wenigen Tagen war uns ein halbes Dutzend Instrumente zur Verfügung gestellt, und da die Kunde davon auch noch mehr Bewerber herbeirief, so konnten auch mehrere in kurzer Zeit ihre Wünsche erfüllt sehen. Von Einem derselben erhielten wir die Zuschrift, die als ein Gesammtausdruck der Empfindungen und des Dankes für Alle gelten möge. Leider müssen wir mit dieser Notiz die dringende Bitte verbinden, von der Redaction der Gartenlaube nicht mehr zu fordern, als sie leisten kann. Seitdem ein Brief der Redaction an einen der mit einem Instrument bedachten Lehrer durch die Zeitungen läuft, bringt jeder Postbote Dutzende von Lehrerbitten um alte abgelegte Claviere. Wir müßten sie hundertweise zu vergeben haben, um alle Anliegen zu berücksichtigen. Es sind uns im Ganzen nur zehn Instrumente angemeldet worden; vier davon hat die Redaction den betreffenden Lehrern portofrei zugesendet, drei sind von den Gebern direct besorgt worden, und über drei erwarten wir noch die Verfügung der Besitzer. Wie gern wir nun auch alle Zuschriften in dieser Angelegenheit wenigstens mit ein paar Worten des Trostes beantworteten, so ist uns doch bei der Menge derselben auch das unmöglich, und wir bitten, diese Erklärung als Antwort für Alle annehmen zu wollen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 863. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_863.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2019)