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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Erforschung derselben nahe zu legen; ich wünschte mich aber so verstanden, daß ich damit keinerlei Meinung in Betreff der Ursache der stattgehabten Erscheinungen ausspreche.

 Ihr treu ergebener

William Huggins.“     

Doch, wie gesagt, ob einer oder der andere der Vertreter der Wissenschaft diese Dinge beachten mag oder nicht, muß seinen persönlichen Neigungen überlassen bleiben und hängt zum Theil auch von zufälligen Umständen ab. Für die strenge Wissenschaft selbst aber existiren jene Dinge einfach – gar nicht. Die Wissenschaft anerkennt weder, noch verneint sie in solchen Fällen – sie ignorirt; – und dazu hat sie nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, weil Zeit und Arbeit zu knapp und kostbar sind, um an Erscheinungen verschwendet zu werden, welche vorläufig kein anderes und höheres Interesse darbieten, als daß ihre Ursachen nicht augenfällig sind – gerade so, wie das bei guten und frappanten Taschenspielerkunststückchen der Fall ist. Bei letzteren setzt heutzutage doch kein vernünftiger, besonnener Mensch irgend welche außernatürlichen Kräfte voraus – sonst könnten wir ja gleich wieder munter anfangen, Hexen und Zauberer zu verbrennen!

Bisher aber berechtigt und zwingt uns auch noch gar nichts, bei jenen sogenannten „Geistermanifestationen“ und sonstigen zweifelhaften Erscheinungen dieser Art die Wirkung außernatürlicher oder „neuer Naturkräfte“ u. dgl. vorauszusetzen, und deshalb ist vorläufig der ganze Spuk nicht der mindesten ernsten Beachtung werth – außer vielleicht vom psychologischen, oder vielmehr vom psychiatrischen Standpunkt!

Das absolut ablehnende Verhalten der Wissenschaft gegenüber dem Spiritismus etc. ist somit, wie Sie, meine hochverehrten Anwesenden, bei ruhiger Ueberlegung[WS 1] nun wohl zugeben müssen, vollkommen gerechtfertigt, so wenig Sie sich auch von diesem Resultate unserer Darlegung befriedigt, oder so sehr Sie sich in Ihren Erwartungen davon getäuscht fühlen mögen. Ich kann nur noch hinzufügen: Möglich, daß in Folge dieser der Wissenschaft nothwendig gebotenen Reserve überhaupt Manches, vielleicht zum Schaden der Menschheit, für lange Zeit unentdeckt blieb und bleibt, denn auch wir können in aller jener Bescheidenheit, zu der sich der Naturforscher wohl mehr als andere Berufsmenschen gedrungen fühlt – doch ohne mit diesem oft mißbrauchten Citat der Leichtgläubigkeit, dem Aberglauben und jeder ihrer Ausgeburten Thür und Thor öffnen zu wollen –, mit Hamlet sagen:

„Es giebt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden,
Als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio!“

Hamlet, 1. Act, 5. Scene.

Indessen, dies muß eben getragen werden; für jede Entdeckung, für jeden Fortschritt kommt die richtige Stunde! Allein wenn man – und ich citire hier wörtlich – den „Tonangebern unserer wissenschaftlichen Ueberzeugungen – den gelehrten Facultäten“ zum Vorwurf macht, daß sie „die Masse des Volkes ihren eigenen Kräften und Urtheilen im Kampfe mit den unwiderstehlichen Erscheinungen unbegreiflicher Thatsachen überlassen haben“, und ihnen darum einen Hauptantheil der Schuld und Verantwortlichkeit für alle Tollheiten, Abgeschmacktheiten und intellectuellen Ausschweifungen des Spiritismus, der Medienwirthschaft etc. aufbürden will, so entspringen solche Anklagen und Zumuthungen nur aus einer mit Anmaßung verquickten Urtheilslosigkeit und totalen Verkennung der Aufgaben und Verpflichtungen jener wissenschaftlichen „Tonangeber“ und Körperschaften, sowie des Weges und der Art und Weise, wie die „Masse des Volkes“ zu wahrer Bildung und Aufklärung zu erziehen ist.

Möchten doch jene leidenschaftlichen, unberufenen Schriftsteller, welche ja selbst Alles davon zu hoffen und zu erwarten vorgeben, wenn sich „nur einmal“ das Studium ihrer vermeintlich brennenden Frage „in den Händen der Wissenschaft befinden wird“, es auch dem überlegten und nüchternen Urtheile der Wissenschaft ruhig und vertrauensvoll überlassen, welche Fragen sie ihrer ernsten Beachtung würdig zu finden und in die Hand zu nehmen hat! Möchten sie auch, wenn sie anders noch einiges Vertrauen zu den wissenschaftlichen „Tonangebern“ und „gelehrten Facultäten“ wirklich bewahrt haben, ihre so übereifrigen und gemeinschaftlichen Bemühungen, statt der Verbreitung einer unbedingt zu verdammenden, weil gänzlich werthlosen und hirnverwirrenden Literatur, wie es zum Beispiel durch die sogenannte „Bibliothek des Spiritualismus“, Leipzig, geschieht, lieber der Verbreitung echter, nüchterner und gründlicher naturwissenschaftlicher Einsichten und Kenntnisse in der aufklärungsbedürftigen „Masse des Volkes“ widmen, und mit dieser verständigeren und dankenswertheren Thätigkeit recht bald – bei sich selbst beginnen!


Meine Schuljahre.

Von Gottfried Kinkel.
(Geschrieben Winter 1849–50 im Gefängniß zu Naugardt.)
III.

Neben der Schularbeit und jener heitern Geselligkeit blieb mir immer noch Zeit zum Lesen moderner Schriftsteller, und wirklich habe ich auf dem Gymnasium bereits den Grund zu späteren Arbeiten auf dem Gebiete der deutschen Literatur gelegt. Leider fehlte es uns, wie schon oben bemerkt ist, an rechter Anleitung dazu. Meist ist es das Theater, wodurch junge Leute in diese Studien eingeführt werden, und in Bonn bestand unter der Direction Ringelhardt’s damals mehrere Winter durch eine gute Bühne, auf der einmal sogar Eßlair mit seinem berühmten Lear als Gast auftrat. Allein der Besuch des Theaters war den Gymnasiasten verboten; auch meine Eltern würden empört gewesen sein, wenn sie erfahren hätten, daß ich einen Schritt dorthin setzte. Was mir untersagt war, hat mich nie gereizt: ich bin erst als Student, wie ich glaube, in’s Theater gekommen, und da ist der Eindruck weit unter meiner Erwartung geblieben, weil ich damals schon die erhabenste Vorstellung von der Tragödie mir gebildet hatte. Erst in Berlin sollte die wirkliche Bühne für mich Leben und Reiz gewinnen.

Auch die lebende Literatur übte auf uns keine mächtige Anziehung. Goethe, dessen Gestirn in seiner Jugend am allerglänzendsten funkelte, hat die Deutschen verwöhnt: von seinem Auftreten an haben sie ihren Dichtern erst nach dem Tode Anerkennung und dann oft überschwärmende Anbetung gezollt. Dieses Unglück später Würdigung widerfuhr namentlich den Schriftstellern, die auf unsere große Epoche von Weimar folgten. Man sah die Literatur als einen Tempel an, der nur eben mit Klopstock, Goethe und Schiller vollständig ausgebaut sei, statt in ihr einen lebendig wachsenden Baum zu erkennen, der jedes Jahr nothwendig einen neuen Ring ansetzt und vom Lebenssaft der Erde stets eine frische Krone nährt. Nun aber fehlte es in der Restaurationsperiode doch auch wirklich an Dichtern, die eine leidenschaftliche Begeisterung in einer Jünglingsbrust erregen konnten. Die Freiheitsdichter aus den napoleonischen Kriegen waren verstummt oder saßen im Kerker; die Romantiker hatten ihre Hauptwerke schon um 1811 abgeschlossen. Arndt lebte allverehrt in Bonn, und seine Lieder lernte ich schon als Knabe auswendig; allein ein umfangreiches, hinreißendes Dichterwerk kam auch aus seiner Feder nicht.

August Wilhelm Schlegel war damals schon für uns Gymnasiasten eine komische Figur. Immermann hatte sich vor der Julirevolution noch nicht einmal bei den Kunstgenossen durchgesetzt, und Heine, der als ein scheuer schmächtiger Junge die neubegründete Universität Bonn bezog und dort in Einsamkeit seine ersten zarten Lieder schrieb, war von dem Bonner Buchhändler Weber mitleidig zurückgewiesen worden, als er jene Erstlinge ihm zum Verlag anbot. Platen endlich kämpfte gleichfalls noch um seine Anerkennung, war aber auch zu sehr formeller Dichter und begeisterte zu wenig durch seine Stoffe, um junge

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  1. Vorlage: Uebelegung
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_178.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)