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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Ob die bisher noch unverbürgte Mittheilung von der in Aussicht genommenen Uebersiedelung des Pio nono nach La Valetta Wahrheit werden, ob der Vertreter Petri hinter dem mit Kanonen gespickten Felsenbollwerk Malta’s eine sicherere Stätte für seinen päpstlichen Stuhl und im Schatten der britischen Fahne ein sanfteres Ruhekissen für sein heiliges Haupt finden wird – die Zeit wird es lehren.




Aus meinem Gefängniß- und Fluchtleben.


Auch eine Jubiläums-Erinnerung von Fritz Rödiger.


(Schluß.)


Ueber Jena, Dornburg, Camburg,
Zogen die Hussiten vor Naumburg;

Ueber Rohda, Lob’da, Wöllnitz – zogen wir, in sothanen prosaischen Stunden aus dem Reim fallend, vor Jena, das unvergeßliche Saal-Athen. In Wöllnitz mußte Halt gemacht werden, um von diesem bekannten strategisch wichtigen Punkte aus die Laufgräben weiter zu eröffnen. In Wöllnitz kamen wir in frühester Stunde an, die grünbelaubten Weinberge, von denen der Student so erbarmungslos singt –

daß sie uns den Magen zwicken
und den Strumpf zusammenflicken –

hoben sich lachend aus dem Morgengrauen heraus, das die alten Exkneipen, Burgen und Bierstaatsresidenzen noch in gemüthlichen Nebel hüllte. Hoch droben liebäugelte schon mit den ersten Sonnenstrahlen der weltberühmte Paukplatz, wo ich gar manchmal mitgewaltet als Zuschauer, Zeuge, Secundant oder als Paukant, und wo wir öfter von dem „verfluchtesten Kerl“ unter allen Pedellen, dem dicken Kahle, im Schweiß unseres Angesichtes noch weiter aufwärts getrieben wurden, umpanzert von unbefriedigtem Blutdurst und Paukwichs. – Beim Burgvogt aller Burgvögte jener Zeiten, „bei Häring“ (ein wahrer Häring für alle Katzenjammer der Herren Studenten) – stiegen wir ab. – Von da holten uns am Abend, nachdem wir dem berühmten Wöllnitzer, das zwischen Reben aus Malz und Hopfen als Broyhan trefflichst gedeiht, alle Ehre angethan hatten, einige mir befreundete Burschenschafter nach Saal-Athen. In der alten, ewig jungen Musenstadt hielten wir uns vom 3. bis zum 10. August auf, theils bei den Germanen, theils bei den Teutonen, deren alter Mitbegründer ich war, versteckt, aber nicht sonderlich, denn bald wußte es fast die ganze Studentenschaft, daß abermals sächsische Maikäfer herumschwirrten. Hier erwartete ich, um studentisch zu reden, vom väterlichen Hause meinen Reise-„Wechsel“, um nach Einnahme dieser Ladung sobald wie möglich mich aus dem verführerischen Hafen hinaus bugsiren zu lassen auf die weite, unbekannte See des Lebens. Wir waren hier nur allzu sicher, so daß Blankmeister sogar unter der Maske eines Vehmrichters einen Umzug durch die Stadt mitmachte. Die hohe Stadtpolizei selbst, ein alter Commilito, hatte uns zugesichert: sie würde sofort einen väterlichen Wink geben, wenn „Etwas los wäre“. Hier nahm ich auch von treuen und lieben Seelen, die meine Sturmjahre zu allen Zeiten lieblich umblühen werden, wie wunderbare Märchenrosen aus „Tausend und einer Nacht“, schwerbeklommenen Abschied. „Es war bestimmt in Gottes Rath!“ – So schwanden die Tage rasch dahin, und als ich mich gehörig herausstaffirt hatte und Tags zuvor der berühmte Polizeianzeigermann Eberhardt von Dresden, laut Polizeibericht eines alten Jenensers, in Saal-Athen angekommen war, ohne etwas von uns zu merken, nahm ich von meinem Genossen Blankmeister Abschied, dessen beflügelter Kiel mit einigen Mecklenburgern hinab in die Ostsee segelte, um in Amerika sagenklangartig wieder aufzutauchen. Seine weiteren Abenteuer und Lebensläufe sind mir bis auf den heutigen Tag unbekannt geblieben. Er hat mir, seinem Befreier, nicht eine einzige Nachricht zukommen lassen.

In der Nacht vom 10. auf den 11. August wanderte ich mit dem Germanen Ferdinand Becker, stud. med., durch das Thor der alten Musenstadt.

„Bemooster Bursche zog’ ich aus, Adje!“

An der Oelmühle und an andern Mühlenrädern „im kühlen Grunde“ vorüber, wo Anno 1844 ein liebliches Röschen und Bäschen gewohnt hat, die berühmte Schnecke empor auf das classische Ilm-Athen los. Es war eine freundliche Sonntagnacht. In den Schenken an der Heerstraße „tönte Geig’ und Clarinette“, wie Lenau singt, allein wir kehrten nicht beim nächsten und nicht bei einem Wirthshaus ein.

Wir pilgerten ruhig unsere Straße; auf meine Seele lagerte sich eine ganze Welt von Erinnerungen, denn wir wandelten auf historischem Boden, in doppelter Beziehung. War ich auch Voigtländer von ganzer Seele, so war doch Thüringen, das schöne, sagenreiche und classische Thüringen, das Land meiner Väter. Viele Dörfer und Namen dieser Gauen wanden sich wie Blumenkränze um die Erinnerungen meiner frühesten Jugend. In Thüringen, welches ich heute durchzog, flüchtigen Fußes und vaterlandslos, wohnte als stattlicher Bauer vor etwa zweihundert Jahren mein ältester durch Kirchenbücher erreichbarer Ahnherr auf freiem Hofe; ihm folgte manch kräftiger Stammhalter bis herab zu meinem Vater, der abermals in Tiffurth und Zwätzen seine Lehrjahre bestanden, in Jena seine Studien gemacht hatte und 1813 auch von hier aus, als freiwilliger Reitersmann, für das deutsche Vaterland

Mit Friedrich Wilhelm’s Macht
Gezogen in die Leipz’ger Schlacht –

und noch in manche Schlacht und in manch Scharmützel von 1813 bis 1850 für Freiheit und Einheit des deutschen Vaterlandes. Meine Mutter war die älteste Tochter Klinger’s, des Hofgärtners der Großherzogin Amalie in Tiffurth bei Weimar, der unsterblichen Mutter des unsterblichen Herzogs Karl August. Ueber sie waren, als achtjähriges Kind, die furchtbaren Kriegsdrangsale von 1806 bis 1812 dahingebraust, mit fürchterlicher Wucht vor Allem die Folgen der Schlacht bei Jena, auf deren Schauplatz wir soeben dahinschritten. Ihr Vater gehörte zu den Freunden Frankreichs jener Tage, die dem verführerischen Rufe: „Krieg den Palästen, Friede den Hütten!“ vertraut hatten, bis sie dreimal geplündert, verarmt und elend, ohne Hütte, dem Kriegs- und Hungertyphus unterlagen, um mit Heine, dem Bewunderer jener Tage, ausrufen zu können:

„Du hast mich zu Grunde gerichtet –
Mein Liebchen, was willst Du noch mehr?“

Meine Mutter hatte aber auch noch die Abendsonnentage der glorreichen Dichterheroenzeit Ilm-Athens und Tiffurths gesehen und konnte sich recht wohl an die meisten hervorragenden Persönlichkeiten, selbst an Schiller, noch erinnern, und Wieland wohnte eine Zeit lang in ihres Vaters Hause; ebenso an Goethe, Herder, kurz an alle die Günstlinge der Musen ihrer Zeit, sowie vor Allem an Karl August, den Herzog ohne Furcht und Tadel. Sie sämmtlich waren Zeitgenossen und unvergängliche Bilder ihrer Kindheit. Sie sah noch die zauberischen Schäferspiele und Komödien im Parke zu Tiffurth mit eigenen Augen an, in denen die Gnomen und Bergmännlein durch die goldglänzenden Büsche und Wipfel schlüpften, Elfen und Wassernixchen sich auf den krystallenen Fluthen der Ilm schaukelnd wiegten, Sirenengesänge, Aeolsharfen und Zaubermusik aus weiter, weiter Ferne die lauschende Seele durchhauchten, Blitze zuckten, Donner rollten, Bauer, Edelmann und Prinz in Eintracht mit Prinzessin, Edelfräulein und Bauerdirne auf dem grünen Plane dahinwalzten. Diese Erlebnisse ihrer Kinderjahre durchwoben wie lichte und liebliche Blumensterne ihr ganzes, langes Leben, und all diese hundert Erzählungen und Erinnerungen hatten sich auch in meine Seele tief eingeprägt, denn „auch ich war in Arkadien geboren“. Auch ich hatte als Knabe und als Student unter dem Schatten flüsternder Riesenlinden den Manen jener unsterblichen Sänger des deutschen Volkes gelauscht, indeß die Wellen des Dichterflusses zu meinen Füßen dahinrollten, die eine große Zeit und deren Träger geschaukelt, gespiegelt und gebadet hatten. –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_102.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)